76 F. W. R. Zimmermann, Gerechtigkeit in der Steuerverteilung.
Das zweite Gerechtigkeitsprinzip, die Gleichmässigkeit in der Besteue-
rung, würde, rein nach der Wortbezeichnung aufgefasst, zur Hebung eines gleichen Steuer-
betrages von allen Steuerpflichtigen und damit unbedingt zu einer grossen Ungerechtigkeit führen.
Unter Gleichmässigkeit ist hier demnach Gleichmässipkeit im Verhältnis zu verstehen, so dass
also d’e Verschiedenheit nach dem allgemeinen wirtschaftlichen Stand der einzelnen Steuerpflichtige
entsprechend zur Berücksichtigung kommt. Während man früher als Grundlage für die Fest-
legung des Verhältnisses das Interesse und den Vorteil annahm, welcher dem Steuerpflichtigen
aus seiner Zugehörigkeit zum Staat insgesamt oder in den einzelnen Beziehungen erwachsen musste
(Genusstheorie, Assekuranztheorie), erkennt man jetzt als unter dem vorgeschritteneren Ent-
wicklungsstand der Gerechtigkeit allein entsprechend durchweg nur das Verhältnis nach
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen an,
wie solches allein der Natur des Staats und der gegenseitigen Beziehung zwischen Staat und
Steuerpfl chtigen entsprechen dürfte. Jeder Steuerpflichtige hat d-mnach gemäss seiner wirt-
schaftlichen Leistungsfähigkeit an der Steuerlast teilzunehmen. Wenn (lieses nun auch sozu-
sagen als oberster Grundsatz für die Gleichmässigkeit in der Besteuerung hinzustellen ist. so hat
sich das Interessenprinzip doch bei einzelnen Steuerarten nach Massgabe deren besonderer Eigen-
schaftlichkeit bis jetzt erhalten und wird sich voraussichtlich in diesem beschränkteren Masse
weiter erhalten; es ist dieses namentlich bei den Gebühren und bei einer Reihe von Verkehrs-
steuern der Fall.
Bei der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kommen wiederum
verschiedene besondere Momente in Betracht. Dass ein gewisses Mindestmass von wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit überhaupt von der Besteuerung frei zu lassen ist (Steuerfreiheit des Existenz-
minimums), hatten wir schon bei dem vorigen Prinzip der Allgemeinheit berührt. Es schlägt hier
ferner her die Proportionalität und die Progression der Steuer. Beider
proportionalen Besteuerung bestimmt sich der Steuerbetrag zwar nach der Höhe des Steuerobjekts,
aber lediglich in der Weise, dass das Verhältnis zwischen Steuer und Steuerobjekt ohne Rücksicht
auf die Höhe des letzteren sich stets gleich bleibt; der Steuersatz wechselt also nur gleichmässig
mit der Höhe des Steuerobjekts. Die progressive Besteuerung lässt mit der Höhe des Steuerobjekts
auch die Steuersätze der Höhe nach steigen, so dass mit dem höheren Steuerobjekt das Verhältnis
zwischen Steuer und Objekt gleichfalls in einer entsprechenden Weise sich erhöht. Die progressive
Besteuerung beruht auf dem Gesichtspunkt, dass die Leistungsfähigkeit einer Einzelwirtschaft
bezw. eines einzelnen wirtschaftlichen Objektes für die Regel mit der Grösse nicht nur proportional
sondern progressiv ansteigt. Die proportionale Besteuerung entspricht im wesentlichen dem Ge-
nuss- und Assekuranzprinzip; sie hat sich jedoch auch unter dem Prinzip der Besteuerung nach
der Leistungsfähigkeit noch bei gewissen Steuerarten erhalten, so bei den Gebühren und vielfach
bei den Verkehrssteuern, namentlich bei denen, welche in der Form des Stempels erhoben werden.
Die progressive Besteuerung bringt recht eigentlich das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungs-
fübigkeit zum Durchbruch; durch sie wird am entschiedensten nach den neueren Grundsätzen
den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Gesichtspunkten Rechnung getragen. In der ausge-
sprochensten Weise durchgebildet erscheint die progressive Basteuerung grrade bei den jüngst-
bin hauptsächlich bedeutungsvoll gewordenen Steuerarten, bei den Einkommens- und Ver-
mögenssteuern; sie bricht sich aber auch bei anderen Steuern in neuester Zeit mehr Balın, so bei
der Erbschaftssteuer und in besonderen Beziehungen bei einzelnen Stempelsteuern.
Ein weiter hier einschlagendes sozialpolitisches Moment beruht auf der Erwägung, dass
die Loistungsfähigkeit des Einkommens durch die Quelle, ausder es
fliesst, in einer unterschiedlichen Weise bedingt wird, dass die Leistungsfähigkeit eine um so
grössere sein muss, je sicherer diese Quelle fliesst. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das fun-
dierte Einkommen, das Einkommen aus einem Besitz oder aus Rente das leistungsfähigste; ihm
gegenüber steht sodann das unfundierte Einkommen, dasjenige aus reiner Arbeit; zwischen beide
stellt sich das gemischte Einkommen, welches teils auf Besitz teils auf Arbeit beruht und in der
Hauptsache das gewerbliche Einkommen umfasst. Eine Gleichmässigkeit in der Besteuerung nach
der Leistungsfähigkeit ist in vollem Masse daher nur vorhanden, wenn die so nach der Quelle