Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

82 F. W. R. Zimmermann, Gerechtigkeit in der Steuerverteilung. 
vielen wichtigen Steuerarten eine so grosse Rolle spielende Steuerüberwälzung in ihrem tatsäch- 
lichen Erfolge häufig oder meist nicht einmal mit unbedingter und zweifelloser Sicherheit abzu- 
schätzen ist. Gewisse Unstimmigkeiten, wenn sie auch vielleicht auf ein verhältnismässig 
geringes Minimum zu beschränken sind, werden bei der rein theoretischen Bildung eines Steuer- 
systems stets noch verbleiben und entsprechend die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung beein- 
trächtigen. 
Ya wie viel höherem Grade muss dieses aber bezüglich des für dereale Wirklichkeit 
zu bildenden Steuersystems der Fall sein, wo des weiteren nach den tatsächlichen Verhältnissen 
die Bewegungsfreiheit, gehemmt ist und aus solchen neue Schwierigkeiten sich ergeben. 
Unter den realen Verhältnissen kommt diesbezüglich einmal in Betracht, dass, wie wir 
oben schon gesehen, bis zu einem gewissen Grade die historische Entwicklung zu 
achten ist. Jede Umbildung des Steuersystems hat sich an das von früher Überkommene anzu- 
schliessen. Damit müssen notwendig für das neuere Prinzip, in dem sich wesentlich die gerechte 
Steuerverteilung zu verkörpern hat, Beeinträchtigungen nach dieser Richtung hin gegeben sein. 
Ein anderer ähnlich wirkender Umstand ist der, dass für die Bildung des Gesamtsteuer- 
eystems, in welchem die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung endgültig zum Ausdruck zu bringen 
ist, eine Mehrheit von Steuergewalten — Reich, Bundesstaaten, mittlere Verbände 
(eventuell mehrere), Gemeinde — in Frage kommt, welche in Organisation und betreffender Macht- 
vollkommenheit im grossen und ganzen selbständig nebeneinander stehen und lediglich bezüglich 
des Gebiets der Besteuerung in den Hauptzügen und zum Teil nur lose gegeneinander abgegrenzt 
sind. Einerseits dadurch. dass diese einzelnen Steuergewalten in unserer Beziehung eine äussere 
Einwirkung auf einander nicht haben, sondern mehr zusammenhanglos nebeneinander gestellt sind, 
andererseits dadurch, dass sie bei solcher Sachlage stets in erster Linie das eigene Sonderinteresse 
ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit und die Verhältnisse der anderen Steuergewalten walten 
lassen werden, ist eine Einheitlichkeit in dem Vorgehen bezüglich der Besteuerung mehr oder 
weniger ausgeschlossen, eine Einheitlichkeit, wie sie gerade die Vorbedingung für die volle Durch- 
führung der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung bilden müsste. ” 
Dazu kommt endlich die Organisation der Steuergewalt, dass über die 
Besteuerung die vollziehende Gewalt — Regierung — nicht allein, sondern unter Zustimmung der 
besonderen Vertretung der einzelnen öffentlichen Körperschaft — Parlament — zu entscheiden 
hat. Aus der Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Regierung und Parlament dürfte sich 
aber vielfach eine ungünstige Einwirkung auf die Durchführung der Gerechtigkeit in der Steuer- 
verteilung ergeben, weil dieselbe vorwiegender von einer zufälligen Verbindung der parlamen- 
tarischen Parteiungen bedingt sein kann. Gerade in den Besteuerungsfragen pflegt das besondere 
Interesse der verschiedenen beteiligten Bevölkerungsgruppen eine grössere Rolle zu spielen und in 
stärkerem Grade auf die einzelnen parlamentarischen Parteien zurückzuwirken. Folgeweise werden 
letztere jenes Interesse in erster Linie zum Durchbruch zu bringen bestrebt sein müssen und unter 
Umständen jede andere Rücksicht, also auch die auf eine Gerechtigkeit in der Steuerverteilung, da- 
hinter zurücktreten lassen. DieRegierung, welche bei dem steigenden Finanzbedarf sich notwendig 
Steuerquellen erschliessen muss, ist gezwungen, wiederum in erster Linie dem finanzpolitischen 
Prinzip der Ausreichendheit der Besteuerung zu folgen und eine Ausgestaltung des Steuersystems, 
wie sie sie allein vom Parlament erreichen kann, anzunehmen, wenn damit auch den übrigen Steuer- 
prinzipien nicht in vollkommener Weise Rechnung getragen ist. In einem höheren Masse muss 
sich diese letztere Gegenwirkung gegen eine gerechte Steuerverteilung bei der augenblicklichen 
allgemeinen Lage verschärfen, denn durch diese ist der Finanzbedarf unter den erweiterten kul- 
turellen Aufgaben verhältnismässig sehr erheblich für alle Steuergewalten angewachsen, was 
gleichzeitig wieder eine stärkere Inanspruchnahme der Steuerquellen bedingt. 
11. Endergebnis. 
Wenn wir zum Schluss das Endergebnis aus unseren Ausführungen ziehen, so läuft 
solches auf Folgendes hinaus: Die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung, welche in dem Gesamt- 
steuersystern des staatlichen Gemeinwesens zum Ausdruck kommen muss, beruht auf einer verhält-
	        
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