Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

84 Julius Wolf, Die öffentlichen Abgaben in Deutschland. 
  
IV. Die Gemeinde-Abgaben, 
1. Das System. 
2. Entwicklung und Entwicklungstendenzen im Abgabensystem der Gemeinden. 
V, Abschliessonde Würdigung des Abgabensystems von Reich, Staaten und Gemeinden. 
I. Die finanzwirtschaftliche „Arbeitsteilung“ zwischen Reich und Einzelstaaten. 
Die Natur des Deutschen Reichs als eines Bundesstaats, dessen Gliedstaaten sich ihrer 
finanziellen Autonomie nie ganz begeben haben, bringt es mit sich, dass eine Aufteilung der mög- 
lichen Einnahmequellen zwischen ihm und seinen Gliedern stattfindet. Dabei ergibt sich, ganz 
ähnlich wie bei anderen Bundesstaaten (Vereinigte Staaten von Amerika, Schweiz), eine solche Auf- 
teilung als die naturgemässe, d. h. „‚technisch‘‘ zweckmässige, welche die Zölle und die Verbrauchs- 
steuern dem Reiche überantwortet — da Zölle an den Reichsgrenzen eingehoben werden und nach 
Staaten verschiedene Verbrauchssteuern leicht Binnenzollschranken bedingen —, die sogenannten 
direkten Steuern dagegen, deren Erhebung nach verschiedenen Massstäben in den Bundesstaaten 
möglich ist, ohne die Freizügigkeit der Waren zu gefährden, grundsätzlich den Bundesstaaten 
vorbehält. Nach diesem Schema wurde die Besteuerung im Deutschen Reiche eingerichtet. Aus 
verwandten Gründen wurde die Besteuerung des Verkehrs in Mobiliarwerten dem Reiche zuge- 
wiesen, die Besteuerung des Immobiliarwerteverkehrs den Einzelstaaten überlassen. Einzelne 
Abweichungen von der Regel ergaben sich allerdings aus politischen Konstellationen oder aus der 
Besonderheit bestimmter Steuern. So gibt es auch einige Verbrauchssteuern der Einzelstaaten, 
Bier- und Weinsteuern in Süddeutschland, eine Fleischsteuer in Sachsen, Baden, andererseits hat 
das Reich auch an den Immobiliarverkehr letzthin die Hand gelegt. 
Das Resultat,dassich aus dieser Aufteilung der Steuern usw. ergibt, wird aber letzten 
Endes durch das System der sogenannten Matrikularbeiträge und Ucberweisungen in 
etwas verändert. Ursprünglich waren im Deutschen Reiche — vgl. Art. 70 der Reichsverfassung — 
die sogenannten Matrikularbeiträge d. h. die Beiträge der Einzelstaaten an das Reich, die da er- 
hoben werden im Verhältnis zur Bevölkerungsziffer der ersteren, nur als Notbehelf gedacht. Die 
Hoffnung, ihrer in Bälde dank eigner Steuereinnahmen des Reiches entraten zu können, erfüllte 
sich auch noch im ersten Jahrzehntdes neuen Reiches. Ein Verzichtauf die Matrikularbeiträge erfolgte 
trotzdem nicht. Politische Gründe gaben wieder den Ausschlag: Matrikularbeiträge gewähren, 
da sie jährlich neu bewilligt werden müssen, dem Reichstage neben dem Ausgabebewilligungs- ein 
Einnahmebewilligungsrecht:: auch dieses Einnahmebewilligungsrecht wollte der Reichstag sich nicht 
nehmen lassen. So wurde denn, um Beiträge der Einzelstaaten trotz genügender Ergiebigkeit der 
Einnahmequellen des Reichs erforderlich zu machen, beschlossen, gewisse Einnahmen des Reichs 
den Bundesstaaten zuzuführen. Es wurde daraus ein System von Schiebungen, wie es in gleicher 
Künstlichkeit ausserhalb des Deutschen Reiches nie bestand.) Es hat an Durchsichtigkeit dadurch 
nicht gewonnen, dass seit 1909 kraft Vereinbarung mit den Regierungen der Reichstag die 
Matrikularbeiträge bis auf weiteres zu keinem höheren Satz als 80 Pfg. pro Kopf umlegt. Die 
Natur der letzteren als eine Massnahme, deren Beruf darin besteht, dem Reichstag ein politisches 
Recht zu erhalten, ist damit noch deutlicher geworden. 
Neben Abgaben jeder Art spielen in den Bundesstaaten auch die sogenannten Erwerbs- 
anstalten als Einnahmequelle eine Rolle. In den kleineren Staaten handelt es sich in der 
EN Über die Beuiteilung, welche die Matrikularbeiträge gegenwärtig in der deutschen Finanzwissenschaft, 
sowie bei Staatsrechtslehrern und Politikern finden, vgl. Dio o Zusammenstellung und Kritik bei Julius Wolf, 
Die Keichsfinanzreform 1903 8.90 1. und 141, sowie H. Köppe in der Schrift „Die Veredelung der Natrikular- 
beiträge“ (in den „Finanzwittschaftlichen Zeitfragen“, herausgegeben von Georg v. Schanz und Jul. Wolf) 1913. 
Mit Laband und Georg v. Mayr kein unbedingter Gegaer der Matrikularbeiträge (die in thesi auch beispiels- 
weise in der Schweiz erhoben werden sollen), obschon das Reich wie die Einzelstaaten im Bedarfsfalle Schulden 
kontrahieren kann, vermag ich, mindestens als linanztechniker, d. h. ohne politische Erwägungen heranzuziehen, 
keinesfalls ein Freund des gegenwärtigen Systems der „Schiebungen“ zu sein. Vgl. hierzu ihre Würdigung bei 
v. Dowitz, Erbzuwachssteuer als Besitzsteuer, 1912, als „Finanzstörer und ungerechten Belastungsfaktor‘‘ mit 
dem Ausblick auf ihre endliche Beseitigung.
	        
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