300 P. Koch, Bestand und Mehrung der Kriegsmarine.
na
dem Schutze des kaiserlichen Aars die Verhältnisse soweit verschoben hatten, dass auch den fernsten
Binnenländern der Wert und die Bedeutung des Seeverkehrs für sein wirtschaftliches Wohlergehen
nıcht länger verschlossen bleiben konnte, ward man inne, dass ohne eine hinreichende
Flottenmacht dieser Seeverkehr nicht so frei sıch entfalten konnte, wie dies für die mit ihm ver-
knüpften und in immer grösserem Massstabe anwachsenden Interessen unbedingt erforderlich war.
Immerhin bedurfte es einer nicht geringen Mühe, bis diese Ueberzeugung Gemeingut wurde,
und es wird allezeit dem im Sommer 1897 an die Spitze der Marineverwaltung berufenen Staats-
sekretär Tırpitz als ein besonderes Verdienst anzurechnen sein, dass seine erste Arbeit darin bestand,
den Begriff der Seeinteressen in seiner Bedeutung klar zu stellen, und ihn den Bewohnern des deut-
schen Binnenlands unter ımmer neuen Gesichtspunkten Tag für Tag vor Augen zu führen.
Auf Grund dieser Vorarbeit konnte er den weiteren Schritt unternehmen, die deutschen
Politiker davon zu überzeugen, dass es ohne einen bestimmten gesetzlich anerkannten
Plan nicht angängig sei, eine Flottenmacht zu organisieren und zu erhalten, die für ihren Kriegs-
zweck jederzeit sich in voller Bereitschaft befinde.
Die militärischen Grundzüge dieser Organisation waren schon vorher wenn auch
mit unzulänglichem Material und beschränkt ın ihren Hilfsmitteln herausgearbeitet und erprobt,
es handelte sich für Tırpitz nur darum, dem Bestand der Geschwader von Linienschiffen mit
ihren Aufklärungskreuzern die gesetzmässige Unterlage zu schaffen, die für das Heer, soweit ein
Vergleich bei den abweichenden Verhältnissen zulässig ist, in der Feststellung seiner Friedens-
präsenzstärke und ın der sonstigen gesetzlichen Ordnung der Heeresverfassung seit Begründung
des Reiches vorhanden war.
Die Aufgabe der Marine ıst eine doppelte. Einmal soll sie im Kriege der Flotte des Gegners
entgegentreten und mit ıhr um die Seeherrschaft ringen. Hierfür bedarf sie einer planmässigen
Gliederung, wie sıe ım Heere in den Regimentern und Batterien vorhanden ist. Ausserdem soll
sie im Frieden überall da erscheinen, wo dies zur Förderung heimatlicher Interessen 'erwünscht ist,
sei es, dass dıese unmittelbar bedroht sind, sei es, dass es sich darum handelt, den deutschen
Landsleuten draussen vor Augen zu führen, dass das Vaterland zu ihrem Schutze bereit ist, und
ihrer fremden Umgebung zugleich, dass deutsche Volksgenossen nicht ungestraft in ihrer fried-
lichen Betätigung gestört werden dürfen.
Für die Kriegsgliederung vermochte der Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts auf eine
lange Reihe geschichtlicher Vorgänge hinzuweisen, denn in ihrem Verwendungszweck und der
Einsetzung ıhrer Kräfte ın der Schlacht haben die gewaltigen Wandlungen der Technik für die
Linienschiffe und Kreuzer der Schlachtflotte kaum eine Veränderung hervorgebracht; für die
Auslandsflotte waren Umfang und Bedeutung der vorhandenen Seeinteressen in Betracht zu ziehen.
Der Flottenplan, für den die Marineverwaltung im Jahre 1897 die gesetzliche Anerkennung
forderte, umfasste demgemäss eine Schlachtflotte von zwei Geschwadern zu acht Linienschiffen
nebst einem Flottenflaggschiff sowie 6 grosse und 16 kleine Kreuzer, die in entsprechenden Gruppen
den planmässigen Aufklärungsdienst bei der Flotte zu versehen hatten. Für den Auslandsdienst
wurden 3 grosse und 10 kleine Kreuzer vorgesehen, weiterhin für beide Bestandteile der Flotte
eine entsprechende Materialreserve. Ausserdem wurden in den gesetzlichen Sollbestand die vor-
handenen Küstenpanzerschiffe aufgenommen, die im Frieden in Reserveformationen Verwendung
finden sollten, um im Kriege die entstehenden Lücken auszufüllen. Von jeder technischen Fest-
legung des Begriffes der einzelnen Schiffsklassen sah die Vorlage grundsätzlich ab.
Ausser für den Sollbestand traf das Flottengesetz für die Ausnutzung des Schifis-
materials Vorsorge. Die eine Hälfte der Flotte sollte in dauernder Indiensthaltung zu steter
Verwendung bereit sein, während von den übrigen Schiffen und den Küstenpanzern je dıe Hälfte
als Stammschiffe von Reserveformationen die Besatzungen für den Rest der im Kriege ın Dienst
zu stellenden Schiffe ausbilden sollten. In ähnlicher Weise ward über die Bereithaltung der Kreuzer
Bestimmung getroffen. Diesen Indiensthaltungplänen entsprechend wurde der Personalbedarf
an Besatzungen in den gesetzlichen Plan mit einbegriffen, der in einem Bauplan und ın der
Feststellung an Altersgrenzen für die verschiedenen Schiffsklassen seine Bekrönung fand.