Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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Der König: Ist Er Professor Gellert? Ich habe Ihn gern sprechen wollen. 
Der englische Gesandte hat mir Seine Schriften noch heute sehr gelobt. Sind 
sie denn wirklich schön? Gelehrt mögen die Deutschen wohl schreiben; aber sie 
schreiben nicht mit Geschmack. — Ich: Ob meine Schriften schön sind, das kann 
ich selbst nicht sagen, Sire, aber ganz Deutschland sagt es und ist mit mir zu— 
frieden; ich selbst bin es nicht. — Der König: Er ist sehr bescheiden. — Ich: 
Diese Tugend, Ihre Majestät, ist mir natürlich, und ein guter Autor kann niemals 
glauben, daß er schön genug geschrieben habe. — Der König: Aber warum 
nötigen uns die deutschen Skribenten nicht, daß wir ihre Schriften lesen müssen, 
so wie es die Franzosen mit ihren Werken tun? — Ich: Das kann ich nicht be— 
antworten, Sire; da die Griechen schön schrieben, führten die Römer noch Krieg; 
da die Römer gut schrieben, hatten die Griechen aufgehört zu schreiben. — Der 
König: Er hat recht. Er mag wohl ein guter Mann sein. Aber weiß Er, was 
Ihm fehlet? Er sollte reisen und die große Welt kennen lernen, dieses hilft 
schreiben. — Ich: Ich glaube es sehr wohl, Ihre Majestät. Aber ich bin zu alt 
und zu krank zum Reisen und auch nicht reich genug dazu. — Der König: Ja, 
die deutschen Dichter mögen wohl selten unterstützt werden. Es ist nicht gut. — 
Ich: Vielleicht fehlen uns noch Auguste und Ludwigs Quatorze. — Der König: 
Aber Sachsen hat ja schon zween Auguste gehabt. — Ich: Und wir haben auch 
in Sachsen schon einen sehr guten Anfang in den schönen Wissenschaften gemacht. 
Ich rede nicht von Sachsen allein, ich rede von ganz Deutschland. — Der König: 
Will Er denn, daß ein August ganz Deutschland haben soll? — Ich: Das will 
ich eben nicht. Aber ich wünsche nur, daß die großen Könige in Deutschland die 
Künste aufmuntern sollen und uns bessere Zeiten geben. — Der König: Sind jetzt 
böse Zeiten? — Ich: Das werden Ew. Majestät besser bestimmen können als 
ich. Ich wünsche ruhige Zeiten. Geben Sie uns nur Frieden, Sire. — Der 
König: Kann ich denn, wenn drei gegen einen sind? — Ich: Das weiß ich nicht 
zu beantworten. Wenn ich König wäre, so hätten die Deutschen bald Frieden. — 
Der König: Hat Er den Lafontaine nachgeahmt? — Ich: Nein, Sire, ich bin ein 
Original, das kann ich ohne Eitelkeit sagen; aber darum sage ich noch nicht, daß 
ich ein gutes Original bin. — Der Major: Ja, Ihre Majestät. Man hat in Paris 
die Gellertschen Fabeln übersetzt und ihn für den deutschen Lafontaine erklärt. — 
Der König: Das ist viel. Aber warum ist Er krank? Er scheint mir die Hypo- 
chondrie zu haben. — Ich: Leider, seit zwanzig Jahren. — Der König: Ich habe 
sie auch gehabt, und ich will Ihn kurieren. — Ich: So werde ich in mein Journal 
setzen können, daß mich der König von Preußen kuriert hat. Dies wird mir viel 
Ehre bei der Nachwelt machen. — Der König: Erstlich muß Er alle Tage eine 
Stunde reiten und zwar traben. — Ich: Wenn das Pferd gesund ist, so kann ich 
nicht fort; und wenn es krank ist wie ich, so kommen wir alle beide nicht fort. — 
(Nunmehr schlug er mir noch eine Menge barbarischer Mittel vor.) Der König: 
Will Er das tun? — Ich: Ihre Regeln, Sire, wie man gut schreiben soll, die 
werde ich in acht nehmen und habe sie auch schon in acht genommen; aber 
Ihren medizinischen Vorschriften werde ich nicht gehorchen, sie scheinen mir eine 
zweite Krankheit zu sein. Ich lebe schon sehr diät, und ich bin zufrieden, wonn 
ich ruhig sterbe, gesetzt, daß ich auch nicht gesund werde. — Der König: Wie alt 
ist Er? — Ich: Fünfundvierzig Jahre. — Der König: Das ist kein Alter. Er 
muß noch schreiben, für die Welt leben. — Ich: Ich habe es getan, und ich habe 
schon zu viel geschrieben. Es ist eine große Geschicklichkeit, zu rechter Zeit aufzu-
	        
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