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Nachweis, dass das Initiativrecht des Kaisers auf dem
Gebiete der Reichsgesetzgebung in einer Weise ausgeübt
werde, beziehungsweise ausgeübt worden sei, die den
Ausdruck „Gewohnheit“ rechtfertigen könnte, ist, wie ich
in Anlehnung an Grassmanns') Ausführungen meine, zum
mindesten nicht als absolut sicher erbracht anzusehen.
Dieser Nachweis stützt sich nämlich im wesentlichen auf
eine Uebersicht, welche die „Norddeutsche Allgemeine
Zeitung“ unter dem 3. Oktober 1892 gegeben hat.
Danach sind in den Jahren 1884-1892 296 Präsidial-
und nur 25 preussische Anträge im Bundesrate gestellt
worden. Dazu hat nun Grassmann a. a. O. mit Recht
bemerkt, dass einmal nicht ersichtlich ist, woher diese
Notiz stammt, insbesondere, ob sie auf eine authentische
Quelle zurückzuführen ist, zumal doch die Bundesrats-
protokolle, die zu einem solchen Nachweise zweifellos in
erster Linie geeignet wären, ‘der Oeffentlichkeit nicht zu-
gänglich sind. Ferner aber wird in jener Zeitungsnotiz.
schlechtweg von „Anträgen“ gesprochen, während zum
Beweise eines Gewohnheitsrechts auf dem Gebiete der
Gesetzesinitiative, um die allein es sich für uns doch
augenblicklich handelt, wohl erforderlich wäre, darzutun,
dass diese 296 Präsidial - „Anträge“ sämtlich oder’ zum
Teil Gesetzesvorschläge gewesen sind. Und darüber gibt
jene Uebersicht keinen Aufschluss. Endlich fehlt jeder
Nachweis einer entsprechenden allgemeinen Rechtsüber-
ZeUgUNg.
Aber auch die von Rönne a. a. O. und anderen
geltend gemachte Behauptung, dass der Kaiser als König
von Preussen tatsächlich eine Gesetzesinitiative jeder Zeit
ausüben könne, dürfte nicht soweit befriedigen, dass man
daraufhin von einer Untersuchung der Frage, ob dem
Kaiser als solchem das Recht, Gesetze vorzuschlagen,
zusteht, absehen könnte. Denn wenn auch auf Grund der
Bestimmung des Art. 11 R.-V. der Träger der preussischen
Krone allzeit der Träger auch der deutschen Kaiserkrone
1) Grassmann, „Der Reichskanzler und das preussische Staats-
Ministerium“ im Arch. f, öff. R. XI. S. 339.