Full text: Die Stellung des deutschen Kaisers

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Reichsgesetze charakterisiert sind. Es würde in letzter 
Linie aus dem negativen Recht des Veto ein dement- 
sprechendes positives Placet des Kaisers zu folgern sein, 
m. a. W.: es würde sich die Ausfertigung als die eigent- 
liche Sanktion der Reichsgesetze darstellen und der Kaiser 
der Träger der Reichsgewalt sein. 
An dieser Stelle sei ein Vorfall herangezogen, bei 
welchem ein Kaiser durch sein Verhalten zu erkennen 
gegeben hat, dass auch er eine materielle Mitwirkung des 
deutschen Kaisers bei der Reichsgesetzgebung als mit der 
Verfassung nicht vereinbar hält. Bismarck schreibt’): „Bei 
dem Kaiser Friedrich war die Neigung vorhanden, der 
Verlängerung der Legislaturperiode von drei auf fünf 
Jahre im Reiche und in Preussen die Genehmigung zu 
versagen. In Betreff des Reichstags setzte ich ihm aus- 
einander, dass der Kaiser als solcher kein Faktor der 
Gesetzgebung sei, sondern nur als König von Preussen 
durch die preussische Stimme am Bundesrate mitwirke; 
ein Veto gegen übereinstimmende Beschlüsse beider 
gesetzgebenden Körperschaften habe ihm die Reichs- 
verfassung nicht beigelegt. Diese Auseinandersetzung ge- 
nügte, um Se. Majestät zur Vollziehung des Schriftstücks, 
durch das die Verkündigung des Gesetzes vom 19. März 1888 
angeordnet wurde, zu bestimmen.“ 
Für eine unbedingte Verpflichtung des Kaisers, jedes 
ihm vom Bundesrate zugestellte Gesetz gewissermassen 
unbesehen auszufertigen, spricht sich u. a. Seydel?) aus, 
insbesondere verwirft er die Zulässigkeit einer Nach- 
prüfung seitens des Kaisers, ob der ihm zugestellte Be- 
schluss auch in allen seinen Stadien verfassungsmässig 
zustandegekommen sei. Hierbei legt indessen Seydel, 
soviel ich sehe, einer eventuellen Prüfung des Kaisers in 
der angegebenen Weise einen falschen Sinn unter. Er 
spricht von einer „Bevormundung“ durch den Kaiser, die 
darin für die Bundesstaaten zu erblicken sei, von einer 
I) Bismarck II S. 306. 
2) Seydel, Komm. S. 174, Meyer, Grundz. S. 70, Lehrbuch S. 607, 
Hiersemenzel I S.70, Westerkamp S. 181, Riedel S. 108, Thudichum 9.88. 
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