Full text: Die Stellung des deutschen Kaisers

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Auffassung kann sich also der Reichskanzler durch schrift- 
liche Substitution auch in der Gegenzeichung bei der Aus- 
fertigung der Reichsgesetze rechtsgültig vertreten lassen. 
Indessen, ich stimme Hänel a. a. O. bei, der der Ansicht 
ist, „dass es eine vollkommene Verkennung der ganzen 
historischen Entwickelung, der politischen Bedeutung und 
Absicht des Gesetzes ist, wenn man annimmt, dass neben 
dem Gesetze über die Stellvertretung auch noch die 
Substitutionsbefugnis aus Art. 15 der Verfassung für den 
ministeriellen Geschäftskreis des Reichskanzlers Anwendung 
finden könne“. In der Tat wäre der Erlass des Stell- 
vertretungsgesetzes ein nonsens gewesen,!) wenn man 
schon Art. 15 auf den ministeriellen Geschäftskreis des 
Reichskanzlers hätte bezogen wissen wollen. Denn dann 
hätte das Gesetz weiter nichts bezweckt und weiter nichts 
erreicht, als dass es dem Reichskanzler einen neuen Weg 
geöffnet hätte, seine Stellvertretung herbeizuführen. Und, 
da $ 1 des Gesetzes von einem „Antrage‘“ des Reichs- 
kanzlers spricht, der regelmässig”) zur Einleitung auch 
der ministeriellen Stellvertretung erforderlich sei, wäre 
es also dem Reichskanzler überlassen, ob er auf eigene 
Hand — durch schriftliche Substitution — oder vermittelst 
Anrufung des Kaisers die Bestellung seines Stellvertreters 
herbeiführen wolle. Da nun aber die erstere Art die 
zweifellos einfachere und bequemere wäre, und sich 
jedermann in der Wahrnehmung seines Amtes lieber durch 
einen von ihm selbst bestellten Vertreter vertreten lässt, 
1) Insbesondere die Bestimmung des $ 4. 
2) In besonderen Fällen glaube ich aus Gründen der Logik vom 
Erfordernisse eines solchen Antrages absehen zu dürfen. Wenn z.B. 
der Reichskanzler in einen seiner Natur nach vorübergehenden, „die 
freie Willensbestimmung ausschliessenden Zustand krankhafier Störung 
der Geistestätigkeit“.gerät, andererseits die sofortige Vollziehung der 
Ausfertigung eines Gesetzes dringend geboten erscheint, so dürfte 
meines Erachtens die Entlassung des Reichskanzlers und Ernennung 
eines neuen eventuell ebensowenig am Platze sein, wie eine Hinaus- 
schiebung der Ausfertigung. Ich glaube, dass in einem solchen Falle 
es dem Sinne des Gesetzes nicht widersprechen dürfte, wenn der 
Kaiser ohne Antrag einen Vertreter bestellte.
	        
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