- 56 _
und sich nicht nur auf den Abdruck der Ausfertigungs-
worte zu beschränken. Eine Verfassungswidrigkeit kann
ich dagegen keinesfalls in dem üblichen Modus finden.
Meines Erachtens hat die durch die Reichsverfassung vor-
geschriebene Verkündigung den Zweck, die Angehörigen
des Reichs in den Stand zu setzen, sich über die er-
lassenen Gesetze zu informieren. Und dieser Zweck wird
durch ein blosses Citat ebenso erreicht, wie durch einen
wortgetreuen Abdruck des Gesetzes.
Die Wirkung der Verkündigung ist nun nach Art. 2
R.-V. die verbindliche Kraft, die das betreffende Gesetz
mangels einer abweichenden Bestimmung im Gesetze
selbst mit dem vierzehnten Tage nach. dem Ablaufe des-
jenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des
Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben wird, erlangt.
Der Kaiser ist es also, der durch seinen Befehl, das
Gesetz zu verkündigen, die Realisierung des Gesetzes,
wenn ich mich so ausdrücken darf, herbeiführt. — Fricker')
hat nun den Versuch gemacht, diese Verbindlichkeit nicht
nur auf die dem Gesetze Unterworfenen, sondern auch
auf die Gesetzgebungsfaktoren zu beziehen, dergestalt,
dass bis zu dem in Art. 2 bezw. im Gesetze selbst ange-
gebenen Zeitpunkte es dem Bundesrat und dem Reichstag
noch freistünde, ihre Beschlussfassung über das Gesetz
abzuändern, also ihre bereits erteilte Zustimmung zu dem
Gesetze zurückzunehmen, während sie nach Ablauf
dieser Frist an ihre Zustimmung zu dem Gesetze gebunden
wären. Meines Erachtens ist diese Auffassung indessen —
abgesehen von allem andern Entgegenstehenden — auf
eine Verkennung des Zweckes der Vorschrift des Art. 2
zurückzuführen. Denn wenn dort bestimmt wird, dass ein
Gesetz nicht schon mit dem Augenblicke seiner Verkün-
digung sondern — regelmässig — erst nach Ablauf eines
gewissen Zeitraums verbindlich werden soll, so ist dies
eine Massregel der Billigkeit gegenüber denen, für die es
erlassen wird. Zu welchem Zwecke aber selbst noch
nach der Verkündigung den Gesetzgebungsfaktoren ge-
1) Fricker a. a. 0. S. 3.