Full text: Sozialdemokratie, Christentum, Materialismus und der Krieg.

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Auch die späteren Philosophen Englands haben das Prinzip der 
englischen Nützlichkeitsphilosophie mit ihrer doppelten Buchführung 
nicht beeinträchtigt. Das Prinzip dieser Philosophie bedeutet aber 
nichts weiter als einen Materialismus im Wissen und Handeln und 
einen Idealismus im Glauben und Abwarten. 
Es läßt sich nun gar nicht verkennen, daß der durch Theologie und 
Philosophie begründete und gerechtfertigte spezifisch englische Mate- 
rialismus auch seine Schattenseiten hat. Dadurch, daß er die Religion 
eines Egoismus geworden ist, der sich nur innerhalb des durch Sprache, 
Sitten und Gebräuche zusammengehaltenen Volkes nicht sehr beengende 
altruistische Schranken gesetzt hat, hat er zu einem Staatswesen ge- 
führt, das genau genommen nur eine nackte Interessenvertretung des 
das Parlament beherrschenden Bürgertums geworden ist. Eine solche 
Interessenvertretung wird sich selbstverständlich nicht mit Gefühlspolitik 
abgeben, sondern sie wird sich in ihrer Nützlichkeitsphilosophie nur von 
der nüchternen Erwägung des Verstandes leiten lassen, wobei sie die 
allgemein anerkannten Grundsätze für gut und schlecht nur soweit gelten 
läßt, als es ihrem Interesse dienlich ist, zumal ihr in ihrer religiösen. 
Anmaßung und Überhebung an der Achtung anderer Nationen nicht 
vom Standpunkt des Ehrgefühls, sondern nur von dem der Nütllich- 
keit gelegen ist. 
Der englische Materialismus mußte notwendig auch entsprechend 
seiner Herleitung aus durch Anpassung getrübten Quellen zu der falschen 
Auffassung führen, daß die Glückseligkeit seiner Anhänger in Gegen- 
wart und Zukunft nicht in der gesunden geistigen und körperlichen Ent- 
wicklung derselben liegt und hierzu eine Kolonisation benötigt, die eine 
schrankenlose Fortpflanzung und Vermehrung in englischer Kultur 
möglich macht, wodurch letztere überhaupt für die Zukunft sichergestellt 
und einer Degeneration vorgebeugt wird. Nach der heute maßgebenden 
Auffassung liegt die Glückseligkeit des Engländers allein im Reichtum, 
in der dadurch bedingten Unabhängigkeit und im Genießen der Gegen- 
wart und zwar letzteres nach englischer Eigenart. Entsprechend dieser 
Weltanschauung hat sich denn auch die englische Volkswirtschaft und 
auswärtige Politik entwickelt und aus dem Agrarstaat der alten Angel- 
sachsen ist nach der Reformation das heutige Großbritannien geworden, 
in dem der Handel, der durch die Macht des Kapitals, durch Gewandt- 
heit und Skrupellosigkeit andere für sich tributpflichtig machen kann, 
alles beherrscht, während der Ackerbau, der Arbeit verlangt und weniger 
einträglich ist, bedeukungslos geworden ist. 
Die englische Politik hatte dann auch nur das eine Bieli im Auge, 
Geldaquellen zu schaffen und zu sichern. Das bedeutet für einen Han- 
dels= und Industriestaat Rohstoffquellen und Absatzgebiete zu erwerben