302 Berichtigung des Wahrspruches.
„Undeutlich ist der Spruch, sobald er den Sinn, den die Geschworenen
ihm beilegen wollen, nicht klar erkennen läßt, oder wenn seine Fassung einen
Zweifel darüber zuläßt, ob die Geschworenen nicht die Frage mißverstanden und
deshalb die wirklich gestellte Frage unbeantwortet gelassen haben. Als unvoll-
ständig stellt sich jeder Spruch dar, welcher die Frage nicht erschöpft, und
ein Mangel aus dem Gesichtspunkte des inneren Widerspruchs liegt sowol
da vor, wo der Widerspruch aus dem Vergleiche der Bestandtheile einer einzelnen
Antwort, als auch da, wo er aus dem Vergleiche verschiedener Antworten hervor-
tritt, sei es, daß diese Antworten denselben Angeklagten oder verschiedene Mit-
angeklagte betreffen."“
Der Ausspruch der Geschwornen ist eine Antwort auf gestellte Fragen;
die Quelle seiner Mängel kann daher ebensowol in den Fragen als in
den Antworten liegen, und es ist daher das Berichtigungsverfahren allerdings
auch dann einzuleiten, wenn die Mangelhaftigkeit der Fragestellung entdeckt und
anerkannt wird; insbesondere bietet das Wort „unvollständig“ die Handhabe zur
Berücksichtigung selbst neu hervorgetretener Umstände. Die Gesammtheit der an
die Geschworenen gerichteten Fragen und der von ihnen ertheilten Antworten bildet
ein in sich zusammenhängendes Ganze, ein Theil davon kann zur Er-
klärung und Ergänzung eines anderen benutzt werden, er kann aber auch mit einem
anderen Theile logisch unvereinbar gefunden werden. Nach beiden Seiten hin
handelt es sich zunächst um eine Frage der Auslegung, welche bona side fest-
zustellen hat, was die wahre Meinung der Geschworenen gewesen. Von den zahl-
reichen Schwierigkeiten, die sich in dieser Hinsicht die Praxis bereitet, fällt bei
konsequenter Anwendung dieser Grundsätze Vieles hinweg. So können auch ver-
neinte Fragen zum richtigen Verständniß und bei gehörig klargestelltem Zusammen-
hange selbst zur Vervollständigung der Antworten auf bejahte Fragen dienen.
Man muß ferner nicht übersehen, daß wenn den Geschworenen ausdrücklich das Recht
eingeräumt ist, eine Frage theilweise zu bejahen und theilweise zu verneinen, die
Bejahung eben nur mit dem Vorbehalte jener Beschränkungen erfolgt, welche sich
aus der gleichzeitigen Verneinung ergiebt; es ist also unter dieser Voraus-
setzung kein Widerspruch, wenn die Geschworenen die Schuldfrage bejahen, dann
aber ein konstitutives Element des Deliktes verneinen: es ist ja nicht ihre Sache,
zu entscheiden, ob der von ihnen verneinte Umstand noch einen strafbaren That-
bestand übrig läßt; wohl aber kann dieser Vorgang, da er nicht ganz korrekt ist,
Zweifel über ihre wahre Meinung erregen und es rechtfertigen, daß volle Klärung
angestrebt wird. Andererseits darf man nicht übersehen, daß sie die ganze
Frage verneinen können, wenn ihnen auch nur ein (nicht durch Hervorhebung in
der Fassung der Frage selbst schon zu besonderer Berathung gestelltes) Merkmal
des Deliktes nicht feststeht, daß sie, nicht auf die Feststellung der nackten That-
sache beschränkt, ihr „Nicht schuldig“ auch auf die Negation von allgemeinen Vor-
aussetzungen der Schuld oder auf Bedenken gegen die Subsumtion des von ihnen
angenommenen Sachverhaltes unter ein gesetzliches Deliktsmerkmal stützen können.
Die Verneinung einer Frage ist daher nicht ohne Weiteres gleichbedeutend mit dem
Ausspruch, daß die Geschworenen jeden in derselben angegebenen Thatumstand für nicht
erwiesen erachten. Es kann daher die Verneinung der gegen einen der Mitthäter
gerichteten Frage mit der Bejahung der gegen einen andern gerichteten, ja selbst
die Verneinung der gegen den Thäter gerichteten Frage mit der Bejahung der
gegen einen Gehülfen gerichteten vereinbar sein, allerdings aber wird es dann von
der Sachlage abhängen, ob der partielle Schuldspruch für sich noch zu bestehen
vermag, da selbstverständlich kein Thatumstand und kein gesetzliches Merkmal,
welches lediglich in der verneinten Frage enthalten war, als festgestellt
angesehen werden darf. Es wird wesentlich von dem Wortlaut der Fragen und
ihrer mehr oder weniger engen Verkettung unter einander abhängen, ob nicht, wenn