28 Abtreibung der Leibesfrucht.
nachtheiligsten Stimmen der zunächst minder nachtheiligen so lange hinzugerechnet,
bis sich eine Mehrheit ergiebt (StrafPO. § 198 Abs. 3). Ein Auskunftsmittel für
Stimmengleichheit ist weder für die Richterkollegien, da diese mit einer ungeraden
Zahl von Mitgliedern besetzt sind, noch auch für die Geschworenenbank erforderlich,
da hierfür die Materie vollständig geregelt ist. «
Die Fragen, von deren Beantwortung die richterliche Entscheidung abhängt, sollen
von allen Mitgliedern des Kollegiums beantwortet werden. Es darf daher kein
Richter, Schöffe oder Geschworener die A. über eine Frage verweigern, weil
er bei der Abstimmung über eine vorhergegangene Frage in der Minderheit ge-
blieben ist (GVG. § 197). Und zwar wird man dabei in der Regel ver-
langen müssen, daß der Ueberstimmte bei den weiteren A. von der Ansicht der
Mehrheit ausgeht und nicht mit der von der Mehrheit bereits verworfenen Ansicht
möglichst in Einklang zu bleiben sucht. Die Oesterr. StrafP O. § 22 gestattet
unter Umständen Stimmenthaltung und zählt diese Stimmen zu Gunsten des
Angeklagten. Durch positive gesetzliche Vorschriften läßt sich diese Frage jedoch
nicht gut regeln, sie muß nach logischen Grundsätzen in den verschiedenen Fällen
verschieden beantwortet werden. Dasselbe gilt im Wesentlichen auch von der
schwierigen Frage, ob in dem Richterkollegium abzustimmen ist nach Gründen oder
nach dem Endresultat, für welches jedes einzelne Mitglied sich entscheiden würde.
Da die richterliche Entscheidung, wenn eine gesetzliche Beweistheorie nicht vorhanden
ist, nicht lediglich ein logischer Schluß ist, sondern der Willensakt eines Organs
der Staatsgewalt, auch nicht alle Gründe, welche die einzelnen Mitglieder des
Kollegiums für ihre Ansicht haben, bekannt werden, so ist eine A. nach Gründen
nicht möglich. Aber auch die A. nach dem Endresultat wird sich nicht immer
durchführen lassen, wenn man nicht Entscheidungen hervorrusen will, für welche
sich keine von der Mehrheit des Kollegiums gebilligten Gründe angeben lassen.
Das GV. hat für die erwähnten Fragen keine gesetzlichen Bestimmungen getroffen,
weil man sonst kafuistische Bestimmungen aufstellen müßte, die trotzdem nicht er-
schöpfend ausfallen würden. — Richter, Schöffen und Geschworene sind verpflichtet,
über den Hergang bei der Berathung und A. Stillschweigen zu beobachten.
Gsgb. u. Lit.: G. §§ 194—200 und hierzu bes. die Kommentare von Löwe,
Struckmann und Koch. — Aus der Lit. sind bes. zu erwähnen: Zacke, Ueber Beschluß-
fassung in Versammlungen und Kollegien 1867, und mit Bezug auf diese Schrift v. Bar in
der kritischen Viertelj. für Gsgb. u. R.wissenschaft, Bd. X (1868), S. 467—508. — De Fon-
tenay, Ueber die A. in Richterkollegien, (2. Aufl.) 1868. Dochow.
Abtreibung der Leibesfrucht (mediz.-forens.), abortus procuratio, avor-
tement. Die Mitwirkung des Sachverständigen bezieht sich auf Ermittlung der
stattgehabten Schwangerschaft resp. Geburt, auf die Beurtheilung der abgetriebenen
Frucht und auf die Ursachen der vorzeitigen Unterbrechung der Schwangerschaft.
Im medizinischen Sinne spricht man bis zum dritten Monat von einer Frucht,
vom dritten Monat ab von einem Fötus, was aber im Sinne des Straf-
gesetzbuches und in der gerichtsärztlichen Praxis so gut wie immer gleichgültig
sein wird, insofern die Eier in den ersten Monaten wegen ihrer Kleinheit un-
bemerkt abgehen und nur selten, durch eine sehr aufmerksame Beobachtung, in
den blutigen, zum Theil geronnenen Abgängen der Abortirenden gefunden werden.
Ein Ei am Ende des zweiten Monats ist hühnereigroß, 2½ bis 3 Centimeter
lang und fast 4 Gramm schwer; am Ende des ersten Monats ungefähr taubenei-
groß und etwa 1 Centimeter lang.
Außer durch den Abgang der Frucht sind die Zeichen der vorher stattgehabten
Schwangerschaft, weil schnell vorübergehend und unvollkommen ausgebildet, je
früher der Abortus stattfand, desto schwerer zu erkennen. In den ersten Monaten
wird die starke Blutung, die den Abortus begleitet, gewöhnlich für eine ungewöhnlich
vermehrte Menstruation genommen; je später desto mehr nähert sich der dem Ab-
gange der Frucht folgende Zustand dem des Wochenbettes nach rechtzeitiger Geburt,