328 Besichtigung der Waare.
Die neueste Entwicklung geht darauf in dem Verwaltungsdezernat rechtliches
Gehör, ordnungsmäßige Beweisaufnahme und sichere Formen wieder herzustellen,
soweit dadurch die politischen und kommunalen Rechte sowie erhebliche Interessen
der persönlichen Freiheit oder des Vermögens berührt werden (Verwaltungsstreit-
sachen). Hat die Deutsche Staatsentwicklung aus guten Gründen die Verwaltung
von der Justiz getrennt, so strebt der konstitutionelle Staat aus gleich guten
Gründen nach Herstellung der Justiz in der Verwaltung, d. h. nach
Garantien und unparteiischer Handhabung der obrigkeitlichen Gewalt in dem Ver-
waltungsdezernat (s. d. Art. Verwaltungsjurisdiktion). Die dabei ein-
geschlagenen Wege sind sehr verschieden. Oesterreich war durch die nationale
Selbständigkeit seiner Kronländer und Landestheile genöthigt, ein dem älteren
Deutschen Reichsrecht analoges System anzunehmen und sich mit einem Kassa-
tionshof für Rechtsfragen zu begnügen. Die Deutschen Mittelstaaten haben eine
Verwaltungsgerichtsbarkeit für solche Individualrechte der Unterthanen konstruirt,
die nach der Analogie eines privatrechtlichen Statusrechts oder Eigenthumsrechts zu
formiren waren. Die volle Rekonstruktion unseres nationalen Systems ist in der
neuesten Preußischen Gesetzgebung erfolgt nach folgenden Grundsätzen:
1) die gemeinrechtliche querela wird mit dem Charakter einer Rechts-B. ex debito
justitiae wieder hergestellt und als Verwaltungsklage bezeichnet, um sie von den
Vorstellungen via gratiae zu unterscheiden. 2) Sie kehrt wieder auf dem alten
Gebiet der Polizei-, Steuer= und Regal verwaltungsgesetze im Unterschied von den
Polizeistrafgesetzen 2c. 3) Sie hat ihren Schwerpunkt von der thatsächlichen
Seite in dem Behördensystem der Kreise und Provinzen, aus dem sich die I. und
II. Instanz bildet. 4) Sie hat ihren Schwerpunkt von der rechtlichen Seite
wieder in einem höchsten Gerichtshof mit allen Garantien der Gerichtsverfassung.
5) Die Besetzung der Gerichte I. und II. Instanz verstärkt sich aber durch das
Ehrenamt, welches die persönliche Unabhängigkeit des Richteramts durch den
Besitz hat, und das Streitverfahren nimmt die einfachen gelenkigen Formen des
neuen mündlichen Prozesses an. — Die Natur der Verwaltungs-B. bleibt aber
auch in dem veränderten Verfahren unverändert, ebenso wie die Natur der strafrecht-
lichen Verfolgung ihrem Wesen treu bleibt, auch wenn man nach Analogie des
Civilprozesses von einer strafrechtlichen Klage spricht.
Lit.: Eine Monographie über dies grundlegende Thema der Verwaltungsgerichtsbarkeit
bildet Gneist, Der Rechtsstaat, 2. Aufl. 1879, Abschn. V u. VI. Gneist.
Besichtigung der Waare (Th. I. S. 507). Sowol bei Waarenumsatz-
wie bei Transportgeschäften ist die B. d. W., vorgenommen entweder durch die
Betheiligten selbst oder durch besonders zugezogene Sachverständige oder durch Ge-
richtspersonen, von weitgehender Bedeutung; das A. D. H#. verpflichtet den
Käufer (Art. 339, 347, 348), den Kommissionär (Art. 365, 366), den Spediteur
(Art. 380, 387), den Frachtführer (Art. 395, 407) zur B. d. W., ordnet Recht
und Pflicht der B. und der amtlichen Feststellung des Zustandes der Waare für
den Seefrachtverkehr (Art. 609, 610, 611, 629, 674) und für das Seeversicherungs-
wesen (Art. 838, 879, 880 ff.) 2c. Bei den Waarenumsatzgeschäften, insbesondere
dem Kaufe, nach dessen Recht sich das der übrigen Geschäfte dieser Kategorie richtet,
kommt die B. d. W. mehrfach in Betracht:
I. B. d. W. vor und bei Abschluß des Geschäfts. 1) Liegt die Waare bei
Abschluß des Geschäftes dem Käufer zur B. vor, so soll er sich dieselbe gehörig be-
sehen; das ältere Deutsche R. ging von dieser auch in Rechtssprüchwörtern über-
lieferten Verpflichtung aus („Augen für Geld“, „Wer die Augen nicht aufthut, thue
den Beutel auf"), mit der Wirkung, daß, wenn der Käufer eine ihm vorgelegte Sache
kauft und an sich nimmt, der Verkäufer für die Jedermann mit gewöhnlichen gesunden
Sinnen erkennbaren, mithin offenbaren Mängel nicht einzustehen braucht, sondern der
unvorsichtige Käufer den Schaden zu tragen hat. Auch nach der Rezeption des Röm.
R., insbesondere der Grundsätze über das Aedilicische Edikt blieb, unter der angegebenen