Full text: Rechtslexikon. Erster Band. Aagesen - Fungible Sachen. (2.1)

472 Cölibat. 
Cölibat (Th. I. S. 648. 667), Verpflichtung der katholischen Geistlichen der 
höheren Weihegrade zur Ehelosigkeit. I. Geschichte des C. a) In der äl- 
testen Zeit und in der orientalischen Kirche. Schon die ältesten Kirchen- 
lehrer sind theilweise von der Nothwendigkeit einer Reinigung und Heiligung des 
Leibes durch Ertödtung der fleischlichen Begierden ausgegangen und dadurch zu der 
Auffassung von der Vorzüglichkeit und Verdienstlichkeit des ehelosen Standes ge- 
langt. Abgesehen davon erhielt sich auch in den ersten christlichen Zeiten die heid- 
nische und jüdische Anschauung, welche die Geschlechtsvereinigung als verunreinigend 
betrachtete. Wenngleich es somit gegenüber den ein eheloses Leben beobachtenden 
Laien wünschenswerth erscheinen mußte, für die geistlichen Amtsträger den als 
Zeichen höherer Sittlichkeit geltenden C. einzuführen, schlugen doch derartige Ver- 
suche noch auf dem Konzil von Nikäg im Jahre 325 fehl, und erst im 5. Jahrh. 
erwies sich die Ansicht von der Verdienstlichkeit der Virginität stark genug, um die 
Gewohnheit zu fixiren, daß die Bischöfe sich nach ihrer Ordination des Umganges 
mit ihren Frauen enthielten und daß man nur Ehelose zu den höheren Weihen 
beförderte. Die erste allgemeine kirchengesetzliche Anordnung über diesen Punkt hat 
für die orientalische Kirche die Trullanische Synode vom Jahre 692 im wesent- 
lichen Anschluß und unter theilweiser Milderung, aber auch theilweiser Verschärfung 
der Justin. Gesetzgebung (I. 42 § 1 C. 1, 3; Nov. 6 c. 1 §§ 3, 4; Nov. 123 c. 1) 
dahin getroffen, 1) daß verheirathete Männer, jedoch nur nach vorheriger Trennung 
von ihren Weibern, zu Bischöfen befördert, 2) die Kleriker der niederen Weihen 
nicht an der Schließung einer Ehe gehindert werden sollten, aber die Geistlichen 
vom Subdiakon aufwärts nach Erlangung des Weihegrades bei Strafe der Ab- 
setzung, der Nichtigkeit und der Illegitimität für die erzeugte Descendenz keine Ehen 
eingehen durften sowie daß endlich 3) zwar verheirathete Personen nicht von der 
Ordination, selbst nicht der Priesterweihe auszuschließen, aber doch zur Enthaltsamkeit 
während der Zeit der Verrichtung des heiligen Dienstes zu verpflichten seien. Mit 
Rücksicht auf diese Vorschriften hat sich die noch heute in der Kirche des Orients 
geltende Praxis entwickelt, daß die Kandidaten des geistlichen Standes gewöhnlich 
vor der Diakonatsweihe sich verheirathen, ihre Ehen später als Priester fortsetzen, 
aber nach dem Tode ihrer Frau keine neue Verbindung eingehen dürfen, während 
die Bischöfe, denen die Fortsetzung der Ehe verboten ist, für die Regel nicht aus 
dem im Ehestande lebenden Weltklerus, sondern aus den Reihen der Mönche ge- 
nommen werden. 
b) Im Abendlande hat schon die im Jahre 305 oder 306 abgehaltene 
Synode von Elvira die Geistlichen bis zum Diakon abwärts bei Strafe der Ent- 
setzung zur Ehelosigkeit verpflichtet und noch in demselben Jahrhundert hat der 
päpstliche Stuhl eine gleiche Bestimmung erlassen. Damals und in den folgenden 
Jahrhunderten gelang es aber nicht, den C. in der Praxis durchzusetzen und in 
den dem Zusammenbruch der Karolingischen Reiches folgenden Zeiten der allgemeinen 
Verwirrung wurde das Eheverbot von hohen und niederen Geistlichen öffentlich und 
ungescheut verletzt. Seit dem 10. Jahrhundert ist dasselbe zwar aus dem prak- 
tischen Grunde, die Beeinträchtigung der Kirchengüter durch und für die Descendenz 
der Geistlichen und die Erblichkeit der kirchlichen Benefizien zu verhüten, von Neuem 
wiederholt geltend gemacht worden. Aber selbst Gregor VII., welcher in der 
Durchführung des C. das Mittel erkannte, die Geistlichen von allen weltlichen 
Banden loszulösen und ausschließlich mit hierarchischen Tendenzen zu erfüllen, brachte 
es trotz der energischsten Bemühungen nicht zu einer allgemeinen praktischen Aner- 
kennung des Verbotes, sondern nur zu dem Resultat, das kirchliche Rechtsbewußtsein 
in Betreff desselben umzugestalten und es somit vor der Beseitigung durch eine 
entgegenstehende Praxis zu bewahren. Die Rheimser Synode von 1119, die Late- 
ranensische von 1123 und die von 1139 haben in der Entwicklung des C gesetzes 
einen Schritt weiter gethan, insofern sie zuerst im Abendlande die Nichtigkeit der
	        
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