Estor — Eventualbelehnung und Lehnsexspektanz. 753
Estor, Joh. Georg, 3 8. VI. 1699 i ·
« « . , .. zu Schweinsberg bei Marburg, lehrte
seit 1726 in Gießen, 1735 in Jena, Beif. des Schöppenstuhls. 1742 i 1
1769 Kanzler, j 25. . 1773. choppenstuhls, in Marburg,
Schriften: Elementa und Electa juris publ. hassiaci. — Specimen juris
Siaci, 1719 (origines jur. publ. hass., 1738). — Jus public. has lacum ihuris podl. 15
(us publ. hass. hod. varüs observ. illustr., 1740). — Auserlesene kleine Schriften Gießen
1736—1738. — Anfangsgründe des Gem. u. Reichsprozesses, Gießen 1744, Leipz. 1752.— be
appellationibus ad curiam romanam libellus, ed. 2. Jen. 1751. — Bürgerliche Rechtsgelehr-
samkeit der Teutschen, Marb. 1757—1767. — Neue kleine Schriften, Marb. 1783.
Lit.: Sippel, Joh. G. Estor, Marb. 1874. — Muther in d. Allg. Deutsch. Biogr.
VI. 390. Teichmann.
Eroentualbelehnung und Lehnsexspektanz. Beide Institute dienen wesent-
lich demselben Zwecke. Eine Lehnsanwartschaft, Exspektanz, ist dann vorhanden
wenn Jemandem die Investitur mit einem Lehen für den Aperturfall durch den
Lehnsherrn zugesichert wird; eine E. dann, wenn dem Anwärter schon jetzt die
Investitur der noch in den Händen eines Vafsallen befindlichen Lehen mit der Maß-
gabe ertheilt wird, daß dieselbe wirksam werden soll, wenn das Gut dem Herrn
heimfällt. — Die Lehnsanwartschaft insbesondere gründet sich auf einen
Vertrag, zu dessen Abschluß der Lehnsherr weder der Zustimmung des jetzt besitzen-
den Vasallen und dessen Agnaten, noch der Einwilligung seiner eigenen Agnaten
bedarf: wenigstens läßt sich Letzteres nicht im Allgemeinen und für alle Fälle be-
haupten. Der Gegenstand des Vertrages kann verschieden sein; die dem Anwärter
ertheilte Zusicherung kann sich auf ein bestimmtes Lehen oder allgemein auf das
zuerst heimfallende Lehen beziehen (exspectativa feudalis specialis oder generalis);
es kann bei derselben jeder oder nur ein bestimmter Aperturfall (z. B. Felonie,
Refutation) ins Auge gefaßt sein (exspectativa determinata, indeterminata). Durch
die Anwartschaft erhält der Anwärter die Befugniß, bei eintretendem Heimfall so-
fort die Belehnung zu fordern; sobald er letztere nachsucht, ist der Herr verbunden,
die Investitur vorzunehmen. Diese Verbindlichkeit des Herrn geht auch auf seine
Erben nach den Grundsätzen des Gem. Civilrechts über; ob bei der Anwartschaft
auf ein Staatslehen auch derjenige Nachfolger des Ertheilers, welcher nicht dessen
Erbe geworden ist, zur Erfüllung des Vertrages verpflichtet ist, hängt davon ab,
ob die Ertheilung der Anwartschaft als eine jeden Nachfolger verpflichtende Re-
gierungshandlung angesehen werden kann oder nicht. Auch das Recht des Anwärters
geht nach den Grundsätzen des Gem. R. auf dessen Erben über; ist die Anwart-
schaft einer Familie des hohen Adels ertheilt worden, so ist bei eintretendem Heim-
fall nicht die ganze Familie berechtigt, die Belehnung zu fordern, auch entscheidet
unter den Mitgliedern der Familie nicht das Gem. Civilrecht, sondern der Anspruch
kann, wie bei den Erbverbrüderungen das Successionsrecht, nur von Demjenigen
geltend gemacht werden, welcher dazu nach den Hausgesetzen berufen ist. Konkur-
riren beim Heimfall mehrere Anwärter, so geht nach der jetzt herrschenden Meinung
die ältere Exspektanz immer der jüngeren vor; konkurriren Eventualbelehnte und
Anwärter, so gehen erstere vor und ihnen stehen, wie in anderen Beziehungen, so
auch in Hinsicht auf diesen Vorzug Diejenigen gleich, welche ihren Anspruch auf
eine sog. qualifizirte Anwartschaft gründen, d. h. eine solche, zu welcher vor der
Apertur eine förmliche Belehnung hinzugetreten ist. — Auch die E. kann der
Lehnsherr der richtigen Ansicht nach ohne Zustimmung des besitzenden Vasallen
vornehmen; der Eventualbelehnte tritt zu diesem in gar kein Verhältniß; würde
aber die Zustimmung des Vasallen erlangt, so hat der Eventualbelehnte gegen ihn
dieselben Rechte, welche er gegen den Lehnsherrn hat. Ueber die Natur des Rechts
des Eventualbelehnten bis zur Apertur herrscht noch immer und gerade in neuester
Zeit wieder lebhafter Streit; die richtige Ansicht ist wol die, daß sein Recht dem
des Anwärters gleich ist. Nach Eintritt der Apertur ist aber das Recht ein ding-
liches (anders beim Anwärter), die E. gewährt von jetzt ab dem Beliehenen alle
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon I. 3. Aufl. 18