Full text: Rechtslexikon. Erster Band. Aagesen - Fungible Sachen. (2.1)

Erplorationsverfahren. 763 
Je unbefangener die Konversation ist, je weniger sie den Charakter eines Ver- 
hörs hat, der Explorand den Zweck der Unterredung bemerkt, um so sicherer ist der 
Erfolg. Wenn immer möglich, sollte der Inhalt der Konversation stenographisch 
treu aufgezeichnet und dadurch in objektivster Weise ein Beurtheilungsmaterial ge- 
wonnen werden, das namentlich für spätere Zeiträume und Begutachter von 
hohem Werth ist. 
Wie die Konversation zu leiten ist, muß dem Takt der Explorirenden und 
den Umständen des konkreten Falles überlassen bleiben. Im Allgemeinen ist es 
nicht räthlich, gleich in medias res einzugehen, vielmehr körperliches Befinden, Be- 
ruf, frühere Lebensschicksale als Ausgangspunkt zu wählen, dabei zunächst Lebens- 
ansichten, Wünsche, Pläne, Stimmung, Intelligenz, Strebungen zu erfahren. 
Indem man dann das Gespräch auf Herkunft, Familie, soziale, politische, 
religiöse Fragen lenkt, achte man genau darauf, ob sich geänderte Beziehungen in 
irgend einer Richtung ergeben, die zur Ermittlung einer etwaigen Wahnidee führen. 
Während dieser Unterredung hat man Gelegenheit Blick, Miene, Geberden, 
Haltung zu studiren, Wohnung und Umgebung des Exploranden zu mustern. 
An die psychische Exploration hat sich die genaue Untersuchung der gesammten 
körperlichen Organe und Funktionen anzuschließen. Da jeder Hauptform von 
Geistesstörung auch Eigenthümlichkeiten der Schreibweise zukommen und sich 
Geisteskranke schriftlich mehr gehen lassen als mündlich, erwächst aus dem nie zu 
versäumenden Studium der Schriften zweifelhafter Geisteskranker eine wichtige Er- 
kenntnißquelle für die exploratorische Aufgabe. Die Schriften Geisteskranker können 
inhaltlich zur Ermittlung verborgen gehaltener Wahnideen, stilistisch zur Kennzeich- 
nung ihrer Geistesfähigkeiten überhaupt, bezüglich ihrer äußeren Ausstattung zur 
Beurtheilung des Bewußtseinszustandes, graphisch zur Ermittlung feinerer Stö- 
rungen der Koordination rc., erheblich beitragen (s. v. Krafft, Lehrb. d. Pfy- 
chiatrie, I. S. 224). 
Ein negativer Befund, d. h. eine inhaltlich vernünftige und äußerlich korrekte 
Schrift beweist jedoch ebensowenig Geistesgesundheit, als vernünftiges Reden. 
Zuweilen ist der Konversation durch hartnäckiges Schweigen des Exploranden 
ein Ziel gesetzt. Ein solches Schweigen kann ein sehr beredtes sein, wird mindestens 
Präsumptionen auf Irrsinn gestatten. Die übrigen Umstände des Falls, die Ge- 
berden, die Vorgeschichte 2c., werden dann Hauptgegenstand der Untersuchung sein 
müssen. Eine Möglichkeit, die dem Experten immer vor Augen schweben muß, durch 
die er sich aber beileibe nicht die für eine naturwissenschaftliche Untersuchung so 
nöthige Unbefangenheit und Objektivität rauben lassen darf, ist die zuweilen vor- 
kommende Simulation (s. v. Krafft, Lehrb. d. Psychiatrie, I. S. 227) von 
psychopathischen Zuständen. Die Exploration eines fraglichen Simulanten setzt vor 
der anderer zweifelhafter Geisteszustände Nichts voraus als genügend lange un- 
ermüdliche und sachverständige Beobachtung, am besten in einer Irrenanstalt. Der 
synthetische Weg der Expertise erscheint hier als der allein richtige. 
Die ganze Persönlichkeit, nicht disjecta membra sollen als Beurtheilungsmaterial 
dienen, der Werth eines Einzelsymptomes darf nicht überschätzt werden. Eine 
Präsumption für oder wider ist hier unzulässig. Die Frage nach dem vorhandenen 
Geisteszustand muß eine offene bleiben, solange als nicht alle Beweismittel erschöpft 
find. Am wenigsten sollte bei einer so schwierigen Aufgabe der Experte vom 
Richter bezüglich Abgabe eines Gutachtens gedrängt werden. 
Simulation schließt gleichzeitige Geisteskrankheit nicht aus. Deshalb kann. erst 
mit dem Nachweis der völligen Geistesintegrität die Untersuchung eines fraglichen 
Simulanten abgeschlossen betrachtet werden. Mittels allerlei Kunstgriffen (Chloro- 
sormirung, Ekelkuren, Douchen, Elektrizität, fingirte lebensgefährliche Angriffe, 
Feuerlärm 2c.) suchte eine frühere an wissenschaftlichen Hülfsmitteln arme Wissen-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.