Full text: Rechtslexikon. Erster Band. Aagesen - Fungible Sachen. (2.1)

Familienstand. 799 
ständiger Rechtsakt mit Urkundszeugen, unter alleiniger Autorität der Staats- 
gewalt, dessen Vorbedingungen, Formen und Wirkungen einen normalen Bestandtheil 
des bürgerlichen Gesetzbuchs darstellen. Jedermann hat das Recht, Auszüge aus 
dem Register zu verlangen. Die Anfertigung der Jahrestabellen, der 10jährigen 
Tabellen, sowie das Verfahren bei Wiederherstellung verloren gegangener Register ist 
durch die spätere Gesetzgebung näher geordnet. Der Ausdruck „Civilstand“ und 
„Standesregister“ ist mit Nachdruck gewählt, um ihre völlige Ablösung von der 
kirchlichen Autorität und Verwaltung auszusprechen. In Verbindung damit ist 
gesetzt die Behandlung der Ehe als eines familienrechtlichen Vertrages, welcher aus- 
schließlich durch die Mitwirkung der Civilstandsbeamten und durch die Formen des 
bürgerlichen Gesetzes seine rechtliche Wirksamkeit erlangt. So gewaltfam der Ueber- 
gang in dies neue System gemacht war, so hat sich doch die Bevölkerung mit den 
neuen Einrichtungen bald befreundet. Ohne emstliche Anfechtung dauerte dasselbe 
nicht nur in Frankreich fort, sondern wurde auch in vielen Landestheilen nach 
Aufhebung der Französischen Fremdherrschaft beibehalten. Neuerdings ist es in allen 
wesentlichen Grundsätzen auch in Italien eingeführt durch Gesetz vom 20. März 1865. 
Von ganz anderer Seite her erhielt die Civilstandsgesetzgebung eine Erweiterung 
durch ihre Annahme in England. Die Normativbestimmungen des Gesetzes von 
1812 über die Führung der Kirchenbücher hatten sich so unwirksam erwiesen, daß 
die Sicherheit des bürgerlichen Rechtsverkehrs gebieterisch eine durchgreifende Aenderung 
in dem Sinne herbeiführte, „daß eine Nationalanstalt zur Beurkundung der 
Geburten, Heirathen und Sterbefälle unabhängig von kirchlichen Einrichtungen 
und von der Verschiedenheit der Glaubensbekenntnisse zu gründen sei“. Dem ent- 
sprechend ergehen die Gesetze 6 and 7 Will. IV. c. 85. 86 über die Heirathsregister 
und Eheschließungen, über Geburts= und Todtenregister, — weiter ausgeführt durch 
1 Vict. c. 22, — ergänzt durch 27 and 28 Vict. c. 97 über die Begräbnißregister. 
Die spätere Gesetzgebung hat die neuen Einrichtungen auch auf Schottland und Ir- 
land ausgedehnt. Eigenthümlich ist hier die Bildung eines Centralregisteramts, die 
Durchführung des Systems im Anschluß an die neuen Kreis-Armenverbände und 
an das Personal der Kommunal-Armenverwaltung, sowie die Beibehaltung einer 
alternativen Eheschließung vor dem Geistlichen oder vor dem Civilstandsbeamten, 
unter übrigens gleicher Registerführung und Kontrole für alle Formen der Ehe- 
schließung. Die Kirchenbücher dauern daneben fort als Beurkundungen des kirchlichen 
Akts der Taufe und des Begräbnisses. # 
Der wesentlich gleiche Gang dieser Gesetzgebung unter sehr verschiedenen historischen 
und nationalen Verhältnissen enthält einen Fingerzeig auf den Ausgang, zu welchem 
die Gesetzgebung gelangen muß. Es ist einerfeits die Vermehrung, die rasche 
Bewegung einer freizügigen Bevölkerung und die Mannigfaltigkeit der recht- 
lichen Beziehungen der modernen Erwerbsgesellschaft, welche eine sichere Fest- 
stellung der Statusverhältnisse unter öffentlicher Autorität erfordert. Diese Art der 
Feststellung wird zu einer wesentlichen Bedingung für Ordnung und Sicherheit des 
Verkehrslebens. Es ist andererseits die Spaltung der religiösen Bekennt- 
nisse, welche nach Anerkennung einer vollen Freiheit des Kultus die Verbindung 
dieses Registerwesens mit den einzelnen Konfessionen fortschreitend erschwert, bei einer 
Zersplitterung in kleinere Gruppen und Sekten praktisch unausführbar macht und 
namentlich im Eherecht zu unlösbaren Konflikten zwischen Kirche und Staat führt. 
Es ist schließlich der unüberwindliche Zug zur bürgerlichen Rechtsgleichheit, 
welcher die Civilstandsregister durch die ganze europäische Gesellschaft hindurchführen 
wird. Die Gleichheit der Vorbedingungen der Familien= und Statusrechte erfordert 
auch die Gleichheit der Organe und Formen ihrer Konstatirung. Einrichtungen der 
Art können folgeweise nur von der einheitlichen Staatsgewalt ausgehen, nur durch 
verantwortliche Organe des Staats mit gleichen Rechten und gleichen Verpflichtungen 
für Alle gehandhabt werden.
	        
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