Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Recursus ab abusu. 307 
möglich sein, wie bezüglich äußerer Fakta; daher in Bezug auf sie schon das bis- 
herige Gemeine Prozeßrecht den faktischen Vermuthungen freien Raum gewährt. 
Alles, was die Doktrin an Regeln über die Interpretation von Verträgen aus ein- 
seitigen, insbesondere letztwilligen Verfügungen ausgestellt hat, ist im Grunde nichts 
anderes, als eine Theorie der faktischen Vermuthungen hinsichtlich aller möglichen 
für das Recht relevanten psychologischen Thatsachen; beiläufig ein weiterer Beleg zu 
der schon im Eingang des Artikels motivirten Behauptung, daß eine Theorie der 
faktischen Vermuthungen durchaus nicht zu den Unmöglichkeiten gehört. Soweit 
ferner das Recht selbst solche Regeln sanktionirt, so erhalten sie zugleich noch eine 
besondere Bedeutung, die aber nicht durchweg die gleiche ist. Die allgemeineren 
gesetzlich fixirten Interpretationsregeln stehen auf genau derselben Stufe, wie die sog. 
gesetzlichen Beweisregeln. Als einfache ausschließliche R. stellen sich nur diejenigen 
Willenspräsumtionen dar, die unter ganz bestimmten thatsächlichen Umständen die 
Annahme eines ebenso bestimmten, d. h. sogleich inhaltlich bestimmten Willens vor- 
schreiben. Und eben diese Willenspräsumtionen haben unter sich nicht mehr Zu- 
sammenhang, als die R. bezüglich einzelner bestimmter äußerer Ereignisse. 
Zum Schluß noch eine Bemerkung über den Charakter der sog. gesetzlichen 
Beweisregeln, mit denen vorstehend die allgemeinen gesetzlichen Interpretationsregeln 
zusammengestellt worden sind. Man hat dieselben bisweilen ebenfalls unter den 
Begriff der R. subsumiren wollen. Und geht man aus von dem Begriffe, den die 
Logik mit dem Ausdruck „Beweis“ verbindet, so müßte diese Subsumtion als völlig 
gerechtfertigt erscheinen; sie wären danach nichts anderes, als eine Art ausschließ- 
licher R. von generellem Charakter. Geht man hingegen aus von dem Begriffe des 
Beweises im Sinne des einmüthigen juristischen Sprachgebrauchs, so bleibt der Begriff 
der Vermuthung nothwendig überall ausgeschlossen, wo schlechtweg die Be- 
dingungen eines solchen juristischen Beweises aufgestellt resp. erfüllt sind. 
Lit.: Burckhard, Die civilistischen Wräsumtionen, 1866 (das. auch ein Ueberblick über 
die ältere Lit.). — Die Lit. über einzelne R. f. bei den betr. Rechtsmaterien. 
E. Bierling. 
Recursus ab abusu (appellatio oder provocatio tanquam ab abusu, appel 
comme d'abus) ist die gegen einen Mißbrauch der geistlichen Gewalt seitens der 
kirchlichen Beamten an die Staatsregierung eingelegte Berufung, um dadurch Abhülfe 
zu erlangen. Der Rekurs hat in Frankreich, wo er seit mehr als 300 Jahren in 
Uebung gewesen ist, seine genaueste Ausbildung erfahren, und ist heute auf Grund 
der Articles organiques vom 18. Germinal X (8. April 1802) dahin geregelt: 
Er kann erhoben werden wegen Anmaßung einer nicht zustehenden, oder Ueber- 
schreitung der gewährten Gewalt, Zuwiderhandeln gegen die Gesetze und Verordnungen 
des Staates, Verletzung der durch die in Frankreich rezipirten Kanones aufgestellten 
Grundsätze, Verübung von Attentaten auf die Freiheiten und Gewohnheiten der 
gallicanischen Kirche, endlich wegen jeder Unternehmung oder Handlung, welche bei 
Ausübung des Kultus die Ehre der Bürger beeinträchtigen, willkürlich ihr Gewissen 
beunruhigen oder gegen sie in Unterdrückung, Beleidigung oder in öffentlichen Skandal 
ausarten kann. Berechtigt zur Geltendmachung ist jede interessirte Person, eventuell 
Mangels eines Privatantrages der Präfekt. Die zur Entscheidung kompetente Be- 
hörde ist — früher waren es die Parlamente — jetzt der Staatsrath, welcher im 
Wege des Administrativverfahrens, also in geheimer Sitzung und ohne Intervention 
von Anwälten, verhandelt. Bei gegründetem appel kann der Staatsrath wol Ab- 
hülfe schaffen, z. B. durch Unterdrückung des mißbräuchlichen Schriftstückes, Ver- 
weisung der Angelegenheit an das Strafgericht, durch Befehl an den Geistlichen, die 
verweigerte Handlung vorzunehmen, aber ein Recht, auf Strafen gegen die Geist- 
lichen zu erkennen, besitzt er nicht. Andererseits gewährt aber die Französische Ge- 
setzgebung auch umgekehrt der Kirche und den Geistlichen den appel, wenn die 
20“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.