Schulbauten, Schulbeiträge, Schulgeld. 607
neueren Theorien von der „Konfessionalität“ der Schulen und durch die neuen
Pläne einer grundstürzenden Steuerreform sind diese Hindernisse noch vermehrt, so daß
voraussichtlich erst aus einem unerträglich gewordenen Nothstand die Reform in der
oben bezeichneten Richtung hervorgehen wird. Eine akute Gestalt wird dieser Noth-
stand namentlich in den 170 Gemeinden über 10 000 Einwohner annehmen, welche
schon im Jahre 1876 32 000 000 Mark für Unterrichtszwecke aufzubringen hatten,
so daß bereits in einzelnen Städten 100, 200 und mehr Prozent an Zuschlägen zu
direkten Staatssteuern allein für Unterrichtszwecke aufzubringen waren.
Einen besonderen Streitpunkt innerhalb dieses Gebiets bildet das Schulgeld,
dessen Beibehaltung oder Abschaffung. Die Gründe für das Gebührenprinzip
in der Gemeindeverwaltung, welche es als recht erscheinen lassen, geldwerthe
Leistungen, welche die Gemeinde nur bestimmten Personen gewährt, durch Beiträge
der Betheiligten (jedenfalls zum größeren Theile) decken zu lassen, sprechen auch für
die Schulgelder. Dieselben Gründe, aus welchen es unbestritten für die höheren
Unterrichtsanstalten gilt, treffen zunächst auch für die Volksschulen zu. Die Korre-
spondenz von Rechten und Lasten bleibt eine normale Grundlage alles Gemeinde-
lebens, und es ist wünschenswerth, auch in den arbeitenden Klassen ein lebendiges
Bewußtsein ihrer Gemeinschaft im Gemeinde= und Schuldverband zu erhalten. Dies
Bewußtsein beruht aber erfahrungsmäßig noch mehr auf der Theilnahme an den Lasten
als auf der Theilnahme an den Rechten einer Körperschaft. Auch ist es eine bekannte
Erfahrung, daß der gemeine Mann die Einrichtungen besser würdigt, zu denen er
irgend Etwas beizutragen hat, als diejenigen, deren Wohlthaten ihm einfach geschenkt
werden. — Diesen Gründen, deren Berechtigung von den Gegnern nicht bestritten
wird, stehen indessen gewichtige Gegengründe gegenüber. Es sind analoge Gründe,
wie diejenigen, die auch im System der persönlichen Steuern zwar für eine Gleich-
heit des Maßstabs sprechen, aber doch eine herabgleitende Skala für die nicht be-
sitzenden Klassen und unter Umständen eine völlige Befreiung der untersten Stufe
rechtfertigen können. Zunächst trifft die Schulgebühr, wie das Kopfgeld gerade die
Hausstände mit zahlreichen Kindern mit besonderer Härte, während es im perfön-
lichen Verband der Gemeinde wol angemessen erscheint, die Familien mit geringerer
Kinderzahl, die Kinderlosen und die Unverheiratheten mit heranzuziehen. In vielen
Gemeindebeschlüssen und Verwaltungsgesetzen hat man mit Rücksicht darauf wenigstens
Abstufungen der Schulgelder für die Familien nach den Stufen ihrer Einkommen-
besteuerung eintreten lassen, die einen Uebergang zu dem System der reinen Steuern-
aufbringung darstellen. Weit schwerer in das Gewicht fällt aber der Umstand, daß
breite Schichten der Bevölkerung auch mit der strengsten Verwaltungsexekution nicht
zu den Schulgeldern herangezogen werden können und deshalb „Freischule“ erhalten.
Es entsteht dadurch ein Klassengegensatz von „armen“ Schülern und zahlenden“
Schülern, der in pädagogischer und sittlicher Hinsicht den Geist der Schuljugend in
der bedenklichsten Weise durchdringt und den Klassenneid und Klassenhochmuth schon
auf den Schulbänken nährt. Um diesen Uebelstand zu beseitigen, haben die größeren
Stadtverbände es mit der Einrichtung besonderer „Armenschulen“ versucht, damit
aber noch schlimmere Erfahrungen gemacht. Der Armenschule ist vorweg ein Stempel
der Inferiorität aufgedrückt, der ihr Leben und Wirken lähmt und herabzieht, und
den Klassengegensatz durch äußere Scheidung der Jugend nur noch sichtbarer und
fühlbarer macht. In einer Zeit, in welcher die Entfremdung der sozialen Klassen
sich in so krankhaften Symptomen erkennbar macht, haben daher die größeren Städte
auch das System der Armenschulen meistens freiwillig ausgegeben und ansehnliche
Geldopfer nicht gescheut, allen Kindern einen gleich guten Unterricht, frei von Schul-
geld, anzubieten, wobei es dann den sog. Honoratioren unbenommen bleibt, den
Elementarunterricht durch Privatlehrer, Privatschulen oder durch die sog. Elementar-=
klassen der gelehrten Schulen zu gewähren. Die gleichmäßige Richtung der städtischen
Gemeindebeschlüsse im letzten Menschenalter kann als Beweis dafür gelten, daß dies