Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Generaldebatte. Brauchitsch. 223 
von Brauchitsch (Elbing-Marienburg)'): Meine Herren, der Antrag 
auf Schluß deutet allerdings dorauf hin, daß bei Allen das Gefühl mächtig 
ist: jam satis! Erlauben Sie mir aber, daß ich noch zu Ihnen reden darf 
als Abgeordneter einer Provinz, die durch deutsches Blut, durch deutsche 
Intelligenz, durch deutsche Kraft germanisirt worden ist, alo Abgeordneter 
der Provinz, die dem Staate Preußen den Namen gegeben hat, dem Preu- 
ßen, welches jetzt dem deutschen Mutterlande seinen Dank darbringt, dadurch, 
daß es ihm die Einigung wiederbringt, welche Deutschland lange, lange ver- 
loren hatte. Ich werde nicht daran denken, Ihnen mit besonderer Emphase 
Neigung zu machen, um dem neu zu begründenden Deutschen Bunde Ihre 
rolle und herzliche Zustimmung zu geben. In ganz nichterner Weise ge- 
denke ich mit ein Paar Worten einer Kritik zu unterziehen, was uns vor- 
liegt, und Einiges nachzuholen, was mir bisher übergangen zu sein scheint. 
Der Grundsatz, der, wie ich meine, allein leitend sein darf bei der Betrach- 
lung der uns vorliegenden Verträge ist der: In necessarlis unitas, in dubiis 
libertas, in omnibus caritas. Hiervon ausgehend, meine Herren, bin ich 
verpflichtet, Ihnen Namens meiner Freunde zu erklären, daß wir die beiden 
in materieller Bezichung bedenklichsten Punkte zunächst im baierischen Ver- 
trage bei Artikel 4 finden, wo es heißt, daß wesentliche Rechte, die der 
gemeinsamen Gesetzgebung in der alten, Norddeutschen Bundesverfassung 
unterstellt waren, nämlich das Niederlassungs= und Heimathsrecht, auedrück- 
lich von der Anwendbarkeit auf Baiern auggeschlossen sein sollen. Ferner 
aber in der durch den Vertrag mit Baiern herbeigeführten durchgreifenden 
Abänderung des Abschnitts von der Militäwerfassung, wonach Vorschriften, 
die bisher die Einheit des deutschen Hecres in jeder Beziehung herzustellen 
bestimmt waren, für Baiern fortfallen sollen. Diese beiden wesentlichen 
Ausnahmen erhalten noch eine erhöhte Bedeutung dadurch, daß, — wie einer 
der Herren Redner am gestrigen Tage schon hervorgehoben hat — die Süd- 
deutschen Staaten, welche besondere Vorrechte für sich in Anspruch nehmen, 
fich gleichzeitig vorbehalten haben, daß Abänderungen dieser Vorbehalte ohne 
ihre ausdruͤckliche Zuftimmung im Wege der Bundesgesetzgebung nicht sollen 
vorgenommen werden dürfen. Wie ist man dazu gekommen? Es müssen 
sehr erhebliche Momente vorliegen, um die Ausnahmestellung Baierns, na- 
mentlich in Betreff des Heimaths= und Niederlassungsrechts zu entschuldigen 
oder wenigstens zu erklären. Baiern, das alte Herzogthum Baiern — ich 
rede zunächst nur von diesem — mit Ausschluß also der schwäbischen und 
fränkischen Theile, wird demjenigen, der es näher kennt, die Ueberzeugung 
gewähren, daß dort gewisse Verhältnisse und zwar gerade die Heimaths= und 
Niederlassungsrerhältnisse, ganz eigenthümlich, von dem übrigen Deutschland 
himmelweit verschieden geartet sind; Altbaiern ist in der That dem übrigen 
Deutschland durch die ganze Organisation jener Verhältnisse so weit ent- 
5 St. B. S. 101 r. g. m.
	        
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