Abschnitt V. Armenwesen. Reichsgesetz §§. 6—10. 927
bänden, können sich aber ausnahmsweise auf den Bezirk eines einzigen Orts-
Armenverbandes beschränken 7.
§. 6. Armenverbände, deren Mitgliedschaft an ein bestimmtes Glaubens-
bekenntniß geknüpft ist, gelten nicht als Armenverbände im Sinne dieses Gesetzes.
§. 7. Die Orts= und Land-Armenverbände stehen in Bezug auf die Ver-
folgung ihrer Rechte einander gleich. Hat ein Bundesstaat unmittelbar die
Funktionen des Land-Armenverbandes übernommen (§. 5), so steht er in allen
durch dies Gesetz geregelten Verhältnissen den Land-Armenverbänden gleich.
§. 8. Die Landesgesetze bestimmen über die Zusammensetzung und Ein-
richtung der Orts-Armenverbände und Land-Armenverbände, über die Art und
das Maß der im Falle der Hülfsbedürftigkeit zu gewährenden öffentlichen
Unterstützung, über die Beschaffung der erforderlichen Mittel, darüber, in
welchen Fällen und in welcher Weise den Orts-Armenverbänden von den
Land-Armenverbänden oder von anderen Stellen eine Beihülfe zu gewähren
ist, und endlich darüber, ob und inwiefern sich die Land-Armenverbände der
Orts-Armenverbände als ihrer Organe behufs der öffentlichen Unterstützung
Hülfsbedürftiger bedienen dürfen?).
Erwerb des Unterstützungswohnsitzes.
§. 9. Der Unterstützungswohnsitz wird erworben ) durch:
a) Aufenthalt,
b) Verehelichung,
c) Abstammung.
Durch Aufenthalt)).
§. 10. Wer innerhalb eines Orts-Armenverbandes nach zurückgelegtem
–
1) Ein solcher, z. B. Berlin, bildet keine von dem Orts-Armenverbande ver-
schiedene juristische Person, E. O. V. XVIII. 152. Ueber das Verhältniß der
Provinzial-Land-Armenverbände zu den Provinzial-Kommunalverbänden vergl. W. XII.
66; XVIII. 128.
2) Nur der in ihrem Bezirke befindlichen, W. XI. 40; XXI. 152.
3) Die Hülfsbedürftigkeit der betr. Person bildet in keinem Falle eine Voraus=
setzung für den Erwerb des Unterstützungswohnsitzes, W. XXVII. 79.
Das Anerkenntniß der Ortsangehörigkeit eines Hülfsbedürftigen Seitens
des verpflichteten Arnunverbandes begründet nicht das Hülfsdomizil. Ein derartiges
Anerkenntniß kommt also nur als Beweismittel in Betracht und kann als irrthümlich
zurückgenommen, resp. durch Gegenbeweis entkräftet werden, Erk. 15. Sept. und
6. Okt. 1873 (W. III. 106—110) und 15. Mai 1886 (W. XVIII. 160). Es
kann aber nicht ohne Weiteres widerrufen werden; vielmehr hat der Widerrufende
den Irrthum nachzuweisen, durch den er dazu gekommen ist, das fragliche Zugeständniß
zu machen, Erk. 19. Jan. 1884 (W. XVI. 164).
4) Der zweijährige Aufenthalt an einem Orte, der während dieser Zeit nicht
demselben Orts-Armenverbande angehört hat, genügt nicht, W. XIV. 4; XXI. 4, wohl
aber ist bei der Vereinigung mehrerer Orts-Armenverbände der Unterstützungswohnsitz
in dem neugebildeten begründet, wenn der zweijährige Aufenthalt vor der Vereinigung
in einem von jenen stattgehabt bat, W. XXVI. 1.
Wegen des Falles, wenn die Wohnung des Betreffenden von der Grenzlinie
zwischen zwei Or#s-Armenverbänden durchschnitten wird, vergl. Erk. 21. April 1888
(W. XX. 1); (Herd, Wohn= und Schlafzimmer entscheiden).
Der entsprechende zweijährige Aufenthalt auf einem kommunalfreien Grundstücke
macht landarm; der Landarme erlangt durch demnächstige Inkommunalisirung des
Grundstücks nicht ohne Weiteres den Unterstützungswohnsitz in der betr. Gemeinde,
W. II. 51; XII. 30.
Daraus, daß Jemand zu einer bestimmten Zeit seinen Unterstützungswohnsitz
an einem Orte gehabt hat, kann eine Vermuthung für die Fortdauer desselben nicht
hergeleitet werden, so daß es Sache des Gegenbeweises wire, den später eingetretenen
Verlust des Unterstützungswohnsitzes darzuthun. Vielmehr gehört zur Begründung
der Klage der Nachweis, daß der Verpflegte zur Zeit der Gewährung der Unter-