Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Erster Band. (1)

Abschnitt IX. Strafgesetzbuch. 587 
soll. In der Anstalt ist er so lange zu behalten, als die der Anstalt vor- 
esetzte Verwaltungsbehörde solches für erforderlich erachtet, jedoch nicht über 
* vollendete zwanzigste Lebensjahr. 
§. 57. Wenn ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das zwölfte, 
aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung 
begangen hat, bei Begehung derselben die zur Erkenntniß ihrer Strafbarkeit 
erforderliche Einsicht besaß, so kommen gegen ihn folgende Bestimmungen zur 
Anwendungn: 
1. ist die Handlung mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus 
bedroht= so ist auf Gefängniß von drei bis zu fünfzehn Jahren zu 
erkennen; 
2. ist die Handlung mit lebenslänglicher Festungshaft bedroht, so ist auf 
Festungshaft von drei bis zu fünfzehn Jahren zu erkennen; 
3. ist die Handlung mit Zuchthaus oder mit einer anderen Strafart be- 
droht, so ist die Strafe zwischen dem gesetzlichen Mindestbetrage der 
angedrohten Strafart und der Hälfte des Höchstbetrages der angedrohten 
Strafe zu bestimmen. 
Ist die so bestimmte Strafe Zuchthaus, so tritt Gefängnißstrafe von 
gleicher Dauer an ihre Stelle; 
4. ist die Handlung ein Vergehen oder eine Uebertretung, so kann in be- 
sonders leichten Fällen auf Verweis?) erkannt werden; 
5. auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürger- 
lichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht ist nicht 
zu erkennen ?2). 
Die Freiheitsstrafe ist in besonderen, zur Verbüßung von Strafen jugend- 
licher Personen bestimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen"). 
#§. 58. Ein Taubstummer, welcher die zur Erkenntniß der Strafbarkeit 
einer von ihm begangenen Handlung erforderliche Einsicht nicht besaß, ist frei- 
usprechen. 
§. 59. Wenn Jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vor- 
handensein von Thatumständens) nicht kannte, welche zum gesetzlichen That- 
bestande gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht 
zuzurechnen. 
Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese Be- 
simmung nur insoweit, als die Unkenntniß selbst nicht durch Fahrlässigkeit ver- 
schuldet ist. 
– 
  
Zu Anmerkung 35 auf S. 586. 
verurtheilt sind, in den Gesindedienst gebracht oder bei tüchtigen Meistern in die Lehre 
gegeben werden, so ist es zulässig, die entstehenden Kosten bis zum Betrage von 45 
bis 60 Mk. auf denselben fiskalischen Fonds, aus welchem die Unterhaltungskosten 
bestritten werden, zu übernehmen. Auch ist es zulässig, die auf Grund des §. 56 in 
eine Besserungsanstalt gebrachten jugendlichen Korrigenden nach beendigter Schulzeit 
und Konfirmation in Lehre oder Gesindedienst bei geeigneten Personen widerruflich 
mit der — ausdrücklich auszusprechenden — Maßgabe unterzubringen, daß sie bei 
schlechter Führung in die Anstalt zurückgeschafft, andernfalls aber nach Ablauf eines 
angemessenen Zeitraumes definitiv entlassen werden. Desgleichen ist ein Wechsel in 
der Art der Unterbringung zulässig, der Kostenersatz von 45— 60 Mk. darf aber für 
jeden Korrigenden nur einmal verausgabt werden, Res. 28. Febr. 1858 und 30. Okt. 
1879 (M. Bl. 1858 S. 43 — 1880 S. 18). 
1!) Die Strafermäßigung des §. 57 kommt nicht zur Anwendung bei Zuwider- 
haudlungen gegen §. 10 d. Forstdiebstahlsges. 15. April 1878 (G. S. S. 222), vergl. 
auch §. 4 Feld= und Forstpol.-Ges. 1. April 1880. 
2) Ein ertheilter Verweis begründet die Rückfallstrafe, E. Crim. XIV. 421. 
3) Wohl aber bei Meineid auf die dauernde Unfähigkeit, als Zeuge öffentlich ver- 
nommen zu werden, E. Crim. VI. 416. 
4) Der Rücktransport solcher Personen in die Heimath nach ihrer Entlassung ist 
nur ausnahmswveise erforderlich, Res. 26. März 1876 (M. Bl. S. 115). 
5) Z. B. Alter, Beamtenqnalität, verwandtschaftliche Beziehung 2c., Opp. Anm. 11 
zu §. 59. Vergl. E. Crim. XIX. 87, 253, 287; XX. 393; XXII. 147; XXIII. 374
	        
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