Abschnitt IX. Strafgesetzbuch. Vergehen bezüglich der Religion. 611
bietes bestehende Religionsgesellschaft ) oder ihre Einrichtungen und Gebräuche
beschimpft, ingleichen, wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen
Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Ge-
fängniß bis zu drei Jahren bestraft.
§. 167. Wer durch eine Thätigkeit oder Drohung Jemand hindert, den
Gottesdienst einer im Staate bestehenden Religionsgesellschaft auszuüben, in-
gleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versamm-
lungen bestimmten Orte:) durch Erregung von Lärm oder Unordnung den
Gottesdienst oder einzelne gottesdienstliche Verrichtungen einer im Staate be-
stehenden Religionsgesellschaft vorsätzlich verhindert oder stört?), wird mit Ge-
fängniß bis zu drei Jahren bestraft.
§. 168. Wer unbefugt eine Leiche aus dem Gewahrsam der dazu be-
rechtigten Person wegnimmt, ingleichen wer unbefugt ein Grab'# zerstört oder
beschädigt, oder wer an einem Grabe beschimpfenden Unfug verübt, wird mit
Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen
Ehrenrechte erkannt werden.
Zwölfter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen in Beziehung
auf den Personenstand.
§. 169. Wer ein Kind unterschiebt oder vorsätzlich verwechselt, oder wer
Zu Anmerkung 4 auf S. 610.
genügt nicht, daß die Lästerung objektiv geeignet war, ein Aergerniß zu geben, Erk.
10. Okt. 1887 (E. Crim. XVI. 245).
Ein Kirchhof, auf welchem regelmäßig von einem Kirchenbeamten bei Beerdi-
gungen religiöse Gebete 2c. vor der Trauer-Versammlung verrichtet werden, ist ein
religiöser Versammlungsort im Sinne des §. 166 und ein beschimpfender Unfug auf
demselben ist nach §. 166 mit Gefängniß bis zu 3 Jahren zu bestrafen. Als be-
schimpfender Unfug an diesem Orte ist auch ein ehebrecherischer Akt anzusehen, Erk.
R. G. 27. März 1885 (Rechtspr. VII. 195).
1) Die jüdische Religionsgesellschaft gehört zu den mit Korporationsrechten inner-
halb des Bundesgebietes bestehenden Religionsgesellschaften, auf welche der §. 166
Anwendung findet, Erk. O. Trib. 11. Okt. 1877 (E. LXXAXlI. 324).
Der §5. 166 findet auch Anwendung, wenn es sich um Beschimpfung von Ein-
richtungen und Gebräuchen der Altkatholiken handelt, Erk. 24. Mai 1873 (E. LXX. 42).
2) Ein Kirchhof ist als ein zu religiösen Versammlungen im Sinne des
#§. 167 bestimmter Ort anzusehen und das kirchliche Begräbniß als eine gottesdienst-
liche Verrichtung einer Religionsgesellschaft, Erk. O. Trib. 5. Juli 1876 (E.
I.XXVIII. 330).
2) Zum Thatbestande des §. 167 gehört nicht, daß die störende Handlung in der
Kirche selbdà vorgenommen wird — die Störung kann auch von außen her bewirkt
werden, Erk. R. G. 23. Febr. 1881 (E. Crim. III. 397) und 8. Dez. 1881 (E.
Crim. V. 258).
Entscheidend für den Begriff einer Störung des Gottesdienstes im Sinne des
6. 167 ist nicht, ob im Augenblick der Erregung von Lärm oder Unordnung gerade
ein Akt des Geistlichen selbst stattfindet und ebensowenig, ob der Akt des Geistlichen
sich in dem regelmäßigen Rahmen der von ihm vorzunehmenden Funktionen hält,
Erk. 17. Juu. 1884 (E. Crim. X. 42) Vergl. Erk. 19. April 1888 (E. Crim.
XVII 315). Die Störung einer Person in ihrer Gottesverehrung genügt nicht,
E. Crim XVII. 316. Ueber gottesdienstliche Verrichtungen vergl. E. Crim.
XXIII. 199.
Die Berechtigung zu einer den Gottesdienst an sich störenden Handlung schließt
die Strafbarkeit aus, E. Crim. XVI. 15; XXlI. 168 (Selbstvertheidigung gegen An-
griffe eines Geistlichen).
) Voraussetzung bei Anwendung der Strafbestimmung des §. 168 ist, daß die
Beschädigung oder Zerstörung mit Berührung der in dem Grabe selbst befindlichen
Leiche und Gebeine stattgefunden hat, Erk. O. Trib. 8. April 1853 (E. XXV. 236).
Zum Grab gehört, daß ein Todter darin bestattet ist, E. Crim. XII. 168.
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