Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Erster Band. (1)

722 Abschnitt X. Strafprozeß. Zeugen und Sachverständige. 
§. 56. Unbeeidigt sind zu vernehmen 1): 
1. Personen, welche zur Zeit der Vernehmung das sechszehnte Lebensjahr noch 
nicht vollendet oder wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen Verstandes- 
schwäche 2) von dem Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vor- 
stellung haben; 
2. Personen, welche nach den Bestimmungen der Strafgesetze unfähig sind, als 
Zeugen eidlich vernommen zu werden; 
3. Personen, welche hinsichtlich der den Gegenstand der Untersuchung bildenden 
That als Theilnehmer, Begünstiger oder Hehler verdächtig oder bereits ver- 
urtheilt sind. 
8. 57. Stehen Personen zu dem Beschuldigten in einem Verhältnisse, welches 
sie nach s. 51 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, so hängt es von dem 
richterlichen Ermessen ab, ob sie unbeeidigt zu vernehmen oder zu beeidigen sind ?. 
Dieselben können sauch nach der Vernehmung die Beeidigung des Zeugnisses 
verweigern und sind über dieses Recht zu belehren. 
#§. 58. Jeder Zeuge ist einzeln und in Abwesenheit der später anzuhörenden 
Zeugen zu vernehmen. 
Eine Gegenüberstellung mit anderen Zeugen oder mit dem Beschuldigten findet 
im Vorverfahren nur dann statt, wenn sie ohne Nachtheil für die Sache nicht bis 
zur Hauptverhandlung ausgesetzt bleiben kann. 
§. 59. Vor der Leistung des Eides hat der Richter den Zeugen in angemessener 
Weise auf die Bedeutung des Eides hinzuweisen. 
§. 60. Jeder Zeuge ist einzeln und vor seiner Vernehmung zu beeidigen. Die 
Beeidigung kann jedoch aus besonderen Gründen, namentlich wenn Bedenken gegen 
ihre Zulässigkeit obwalten, bis nach Abschluß der Vernehmung ausgesetzt werden?). 
§. 61. Der vor der Vernehmung zu leistende Eid lautet: 
daß Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen 
und nichts hinzusetzen werde; 
der nach der Vernehmung zu leistende Eid lautet: 
daß Zeuge nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt, nichts verschwiegen 
und nichts hinzugesetzt habe. 
§. 62. Der Eid beginnt mit den Worten: 
„Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden“ 
und schließt mit den Worten: 
„So war mir Gott helfe“ 2). 
. 63. Der Eid wird mittels Nachsprechens oder Ablesens") der die Eidesnorm 
enthaltenden Eidesformel geleistet. Der Schwörende soll bei der Eidesleistung die 
rechte Hand erheben. 
Stumme, welche schreiben können, leisten den Eid mittels Abschreibens und 
Unterschreibens der die Eidesnorm enthaltenden Eidesformel. 
Stumme, welche nicht schreiben können, leisten den Eid mit Hülfe eines Dol- 
metschers durch Zeichen. 
/§. 64. Der Eidesleistung wird gleichgeachtet, wenn ein Mitglied einer 
Religionsgesellschaft, welcher das Gesetz den Gebrauch gewisser Betheuerungsformeln 
an Stelle des Eides gestattet, eine Erklärung unter der Betheuerungsformel dieser 
Religions-Gesellschaft abgiebt 5). 
§. 67. Die Vernehmung beginnt damit, daß der Zeuge über Vornamen und 
Zunamen, Alter, Religionsbekenntniß, Stand oder Gewerbe und Wohnort befragt 
wird. Erforderlichen Falls sind dem Zeugen Fragen über solche Umstände, welche 
  
1!) Darüber entscheidet der Vorsitzende; wird seine Entscheidung angegriffen, so 
bedarf es eines Gerichtsbeschlusses, E. Crim. XIX. 354; auch Sachverständige können 
unbeeidigt vernommen werden, Erk. R. G. 22. Okt. 1895 (E. Crim. XXVII. 398). 
:) Sonstige Geistesschwäche, insbesondere Gedächtnißschwäche, rechtfertigt die 
Nichtbeeidigung nicht, E. Crim. XX. 60. 
2) Konfessionelle Zusätze heben die Gültigkeit des Eides nicht auf, E. Crim. X. 181. 
4) Auch freies Hersagen ist zulässig, E. Crim. XXII. 106. 
5) Mennoniten Vd. 11. März 1827 (G. S. S. 28), Philipponen K. O. 
19. Nov. 1836 (Jahrb. XLIX. 175).
	        
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