Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Erster Band. (1)

Abschnitt X. Strafprozeß. Beschlagnahme und Durchsuchung. 725 
Derjenige Theil eines zurückbehaltenen Briefes, dessen Vorenthaltung nicht durch 
die Rücksicht auf die Untersuchung geboten erscheint, ist dem Empfangsberechtigten ab- 
schriftlich mitzutheilen. 
#§. 102. Bei demjenigen, welcher als Thäter oder Theilnehmer einer strafbaren 
Handlung oder als Begünstiger oder Hehler verdächtig ist, kann eine Durchsuchung 
der Wohnung und anderer Räume, sowie seiner Person und der ihm gehörigen 
Sachen sowohl zum Zwecke seiner Ergreifung, als auch dann vorgenommen werden, 
wenn zu vermuthen ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln 
führen werde. 
§. 103. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur behufs der Ergreifung 
des Beschuldigten oder behufs der Verfolgung von Spuren einer strafbaren Handlung #) 
oder behufs der Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn 
Thatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder 
Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befinde. 
Diese Beschränkung findet keine Anwendung auf die Räume, in welchen der 
Beschuldigte:) ergriffen worden ist, oder welche er während der Verfolgung betreten 
hat, oder in welchen eine unter Polizeiaussicht stehende Person wohnt oder sich aufhält. 
§. 104. Zur Nachtzeit dürfen die Wohnung, die Geschäfisräume und das be- 
friedete Besitzthum nur bei Verfolgung auf frischer That, oder bei Gefahr im Verzuge 
oder dann durchsucht werden, wenn es sich um die Wiederergreifung eines entwichenen 
Gefangenen handelt. 
Diese Beschränkung findet keine Anwendung auf Wohnungen von Personen, 
welche unter Polizeiaufsicht stehen, sowie auf Räume, welche zur Nachtzeit Jedermann 
zugänglich oder welche der Polizei als Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter 
Personen, als Niederlagen von Sachen, welche mittels strafbarer Handlungen erlangt 
sind, oder als Schlupfwinkel des Glücksspiels oder gewerbsmäßiger Unzucht be- 
kannt find. 
Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraume vom ersten April bis dreißigsten Sep- 
tember die Stunden von neun Uhr Abends bis vier Uhr Morgens und in dem 
Zeitraume vom ersten Oktober bis einunddreißigsten März die Stunden von neun 
Uhr Abends bis sechs Uhr Morgens. 
§. 105. Die Anordnung von Durchsuchungen steht dem Richter, bei Gefahr im 
Verzuge auch der Staatsanwaltschaft und denjenigen Polizei= und Sicherheitsbeamten 
zu, welche als Hülfsbeamte 2) der Staatsanwaltschaft den Anordnungen derselben Folge 
zu leisten haben. 
Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten 
Besitzthums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, 
wenn dies möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in 
deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. Die als Gemeindemitglieder zu- 
gezogenen Personen dürfen nicht Polizei= oder Sicherheitsbeamte sein. 
Die in den vorstehenden Absätzen angeordneten Beschränkungen der Durchsuchung 
finden keine Anwendung") auf die im §. 104 Abs. 2 bezeichneten Wohnungen und 
Räume. 
1) Dahin gehört auch ärztliche Untersuchung des Körpers behufs Feststellung ge- 
schlechtlichen Mißbrauchs, Erk. 11. Juni 1886 (E. Crim. XIV. 189). 
2) Eine Frauensperson, welche unter Sittenkontrolle gestellt und deshalb sistirt 
werden soll, wird dadurch nicht zu einer Beschuldigten im Sinne des §. 103. Die 
Exekutivbeamten sind also nicht befugt, um einer solchen Person habhaft zu werden, 
in eine fremde Wohnung einzudringen und in derselben eine Durchsuchung vor- 
zunehmen, Erk. 24. Sept. 1880 (E. Crim. II. 262 ff.). 
3) Wegen der Feld= und Forsthüter vergl. oben S. 708. 
4) Nach der Bestimmung des Abs. 3 können Durchsuchungen der in §. 104 
Abs. 2 bezeichneten Räume und der Wohnungen von Personen, welche unter 
Polizeiaufsicht stehen, auch wenn Gefahr im Verzuge nicht obwaltet, ohne 
richterliche Anordnung und selbst von solchen Polizeibeamten vorgenommen werden, 
welche nicht zu den Hülfsbeamten der Staatsanwaltschaft gehören. Die Zuziehung 
eines Gemeindebeamten oder zweier Gemeindemitglieder ist dabei nicht erforderlich, 
Löwe Anm. zu §. 105. Die Polizeibehörden haben aber ihre Organe hinsichtlich der 
Haussuchungen in den Wohnungen der unter Polizeiaufsicht stehenden Personen mit
	        
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