Abschnitt XXXVIII. Kreis-Ordnung für die östlichen Provinzen. 1079
§. 97. Durch Stellvertretung 1) können sich an den Wahlen betheiligen:
1. der Staat durch einen Vertreter aus der Zahl seiner Beamten, seiner
Domänenpächter oder der ländlichen Grundbesitzer des Kreises;
2. juristische Personen, Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf
Aktien durch einen Pächter oder mit Generalvollmacht versehenen Ad-
ministrator eines im Kreise belegenen größeren Gutes 2), oder durch
einen Vertreter aus der Zahl der ländlichen Grundbesitzer des Kreises;
Korporationen sind befugt, sich nach Maßgabe ihrer Statuten oder
Verfassungen vertreten zu lassen 2);
3. Eltern, durch ihre Söhne 9, welchen sie die Verwaltung s) selbständiger )
Güter dauernd übertragen haben;
4. unverheirathete 7) Besitzerinnen durch Vertreter aus der Zahl der länd-
lichen Grundbesitzer des Kreises;
5. die Mitglieder regierender Häuser s) durch ein Mitglied ihrer Familie
oder einen Vertreter aus der Zahl ihrer Beamten, ihrer Gutspächter
oder der ländlichen Grundbesitzer des Kreises;
6. die gemeinschaftlichen Besitzer eines größeren Grundeigenthums (§. 86)
durch einen Mitbesitzer), beziehungsweise die Theilnehmer eines gewerb-
lichen Unternehmens durch einen derselben;
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1) Die Vorschriften über Stellvertretung sind als Ausnahmen strikte zu inter-
pretiren, E. O. V. XIII. 34. Diejenigen, die als Stellvertreter in einem Wahl-
verbande der größeren Grundbesttzer oder der Landgemeinden ein Wahlrecht ausüben,
find zugleich als Kreistagsabgeordnete wählbar gemäß §. 106, E. O. V. III. 21,
Instr. Art. 13 Nr. 3.
Die Bollmachten können mangels anderer Bedenken des Wahlvorstandes nicht
schon deshalb für ungültig erklärt werden, weil sie nicht beglaubigt sind, da das
Gesetz eine solche Beglaubigung nicht unbedingt verlangt. — Weder der dem Wahbl-
verbande der Landgemeinden angehörende Besitzer eines selbständigen Gutes, noch
der Wahlmann einer Landgemeinde wird dadurch, daß er bereits bei den Wahlen in
lenem Verbande das entsprechende Wahlrecht ausübte, rechtlich behindert, demnächst
auch noch ein solches als Stellvertreter bei den Wahlen in dem Verbande der
größeren ländlichen Grundbesitzer auszuüben, E. O. V. XXIX. 1.
½2) Ein größeres Gut im Sinne des §. 97 Nr. 2 bedeutet weder einen selb-
ständigen Gutsbezirk noch ein größeres Grundeigenthum im Sinne des §. 86, sondern
nur ein größeres Besitzthum, das sich thatsächlich als ein wirthschaftlich selbständiges,
geschlossenes darstellt und um dieser Eigenschaft willen im Sprachgebrauch des ge-
wöhnlichen Lebens ein „Gut“ genannt wird, Erk. O. V. G. 23. Jan. 1879 (E.
V. 4). Ein Mühlenetablissement, dessen Werth nicht in Grund und Boden, sondern
hauptsächlich in den dem Gewerbebetriebe dienenden Gebäuden, Mühleneinrichtungen
und Maschinen liegt, ist nicht als großes Gut anzusehen, Erk. O. V. G. 18. Febr.
1890 (Pr. V. Bl. XII. 14).
3) Doch müssen die Vertreter im Kreise Wohnsitz oder Grundeigenthum besitzen,
Erk. 7. Febr. 1893 (E. O. V. XXIV. 23).
4!) Söhne, nicht auch Enkel, Erk. O. V. G. 6. Okt. 1877.
5) Die obige Vorschrift findet nur im Falle der Verwaltung, nicht auch in dem
der Verpachtung Anwendung, E. O. B. III. 64, und zwar muß die ganze Ver-
waltung des Gutes (als eines einheitlichen Ganzen) übertragen sein, Erk. O. V. G.
22. April 1893 (Pr. V. Bl. XV. 71).
6) D. h. selbständig im Sinne des §. 87 Nr. 2, vergl. Anm. 3 dazu.
7) Also auch Wittwen, E. O. V. XIII. 29.
5) Im Falle des §. 97 Nr. 5 ist das wahlberechtigte Mitglied eines regierenden
Haufes nicht genöthigt, die Vollmacht selbst auszustellen; das Recht zur Bevoll-
mächtigung kaun vielmehr von derjenigen Behörde ausgeübt werden, welche nach der
Jerfassung des betreffenden Regentenhauses zur Verwaltung des, die Berechtigung
zur Betheiligung an den Kreistagswahlen begründenden, Grundbesitzes berufen ist,
Erk. C. V. G. 3. März 1881 Nr. II. 373.
*) Wenn ein Gut einen Gutsbezirk bildet und in mehrere Antheile getheilt ist,
von denen jeder sich im alleinigen und ausschließlichen Eigenthum je eines der An-
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