Abschnitt XL. Schulpflichtigkeit. 1229
§. 44. Nur unter Genehmigung [(der Obrigkeit und des geistlichen Schul-
vorstehers)]1) kann ein Kind länger von der Schule zurückgehalten, oder der
Schulunterricht desselben, wegen vorkommender Hindernisse, für einige Zeit
ausgesetzt werden.
§. 45. Zum Besten derjenigen Kinder, welche wegen häuslicher Geschäfte:)
die ordinären Schulstunden, zu gewissen nothwendiger Arbeit gewidmeten Jahres-
eiten, nicht mehr ununterbrochen besuchen können, sol am Sonntage, in den
ierstunden zwischen der Arbeit, und zu anderen schicklichen Zeiten, besonderer
Unterricht gegeben werden.
§. 46. Der Schulunterricht muß solange fortgesetzt werden, bis ein
Kind, nach dem Besunde seines Seelsorgers], die einem jeden vernünftigen
Menschen seines Standes nothwendigen Kenntnisse gefaßt hats).
Zu Anmerkung 1 auf S. 1228.
In Westfalen beginnt die Schulpflichtigkeit der Kinder mit dem vollendeten
sechsten Lebensjahre; in Ortschaften, wo die Kinder mehr als zwei Kilometer von der
Schule entfernt wohnen, kann dort unter Umständen der Beginn der Schulpflichtigkeit
weiter hinansgeschoben werden, Oberprästdial-Erlaß 26. Jan. 1880.
In der Rheinprovinz ist die nach §. 3 Kab. O. 14. Mai 1825 (nuten
S. 1233) den Lokalbehörden zuständige Befugniß, durch den Landtagsabschied vom
26. März 1839 Lit. B. §. 3 dahin ausgedehnt worden, daß die Regierungen nach
örtlichen Verhältnissen, in ganzen Gemeinden oder größeren Distrikten alle Kinder,
die das sechste Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben, von der Schulpflichtigkeit
entbinden dürfen.
1) Jetzt des Schulinspektors nach Ges. 11. März 1872; vergl. Res. G. Nov. 1873.
2) Wegen der Fabrikkinder vergl §. 135 R. Gew. O. — wegen der sogen. Hüte-
kinder Res. 17. Juli 1840 (M. Bl. S. 375); wegen Mitführung von Kindern
beim Gewerbebetriebe Iö. 57b, 62 Abs. 4 und 63 Abs. 2 Gew. O.
Die Bolkeschule kennt nur obligatorische Lehrgegenstände; es ist darum das Aus-
bleiben der Schulkinder von dem Unterricht in den weiblichen Handarbeiten ebenso,
wie dasjenige von andern Lehrstunden zu behandeln und nötbigenfalls zu bestrafen,
Res. 27. Mai 1873 (C. Bl. U. V. S. 346). Bon der Theilnahme am Turnunterricht
kann auf Grund eines ärztlichen Attestes dispensirt werden, Res. 6. Aug. 1873
(C. Bl. U. B. S. 559), nicht aber von der Theilnahme am Handarbeitsunterricht,
Res. 6. Aug. 1873 (M. Bl. S. 292).
Der Schulpflicht ist auf einer preußischen Schule zu genügen, Erk. K. G.
12. Okt. 1882 (C. Bl. U. B. 1888 S. 152); doch ist unter den deutschen Staaten
außer Baiern die Heranziehung schulpflichtiger Kinder am Aufenthaltsorte gegenseitig
vereinbart, Res. 13. Nov. 1876 (M. Bl. S. 272).
!) Ob ein Kind hinsichtlich seiner in der Schule erlangten Kenntnisse und Fertig-
keiten zur Entlassung reif sei, darüber hat in Gemäßheit des Ges. 11. März 1872
der vom Staate mit der Schulaufsficht beauftragte Lokal- bezw. Kreis-Schulinspektor
zu befinden, Res. 5. Febr. 1874 (C. Bl. U. V. S. 359). Vergl. Erk. O. Trib.
28. Nov. 1878 (C. Bl. U. V. 1879 S. 207), Erk. 31. Mai 1888 (E. K. VIII. 226);
19. Nov. 1891 (E. K. XII. 258); 16. Juni 1892 (E. K. XlIII. 376).
Die Frage, ob ein Kind die erforderlichen Kenntnisse besitzt oder nicht und ob
dafselbe event. noch über das 14. Lebensjahr hinaus schulpflichtig bleiben soll, ist durch
die Schulaufsichtsbehörde und nicht vom dem Gericht zu entscheiden, Erk. 21. Febr.
1884 (E. K. V. 351).
Gesuche um Dispensation noch nicht konfirmirter Kinder vom Schulbesuche
find nicht bei dem betreffenden Seelsorger, wenn er nicht zugleich Schulinspektor ist,
sondern bei dem Schulinspektor resp. bei der mit der Schulaufsicht befaßten Orts-
schulbehörde anzubringen. Dies schließt jedoch nicht aus, daß von diesen Instanzen
ans noch die gutachtliche Aeußerung des Seelsorgers erfordert und gebührend be-
rücksichtigt wird. Die Entscheidung selbst aber muß dem ersteren vorbehalten bleiben,
Res. 6. Nov. 1873 (M. Bl. 1874 S. 49).