Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Zweiter Band. (2)

1234 Abschnitt XL. Schulpflichtigkeit und Schulzucht. 
die der Gesundheit des Kindes auch nur auf entfernte Art schädlich 
werden können; 
5. Züchtigungen, welche in diesen der Schulzucht gesetzten Schranken ver— 
bleiben, sollen gegen die Lehrer nicht als strafbare Mißhandlungen oder 
Injurien behandelt werden; 
6.1) wird das Maß der Züchtigung ohne wirkliche Verletzung des Kindes 
überschritten, so soll dieses von der dem Schulwesen vorgesetzten Pro- 
vinzial-Behörde durch angemessene Disziplinarstrafen an dem Lehrer ge- 
ahndet werden. Wenn dagegen dem Kinde durch den Mißbrauch des 
Züchtigungsrechts eine wirkliche Verletzung zugefügt wird, soll der 
behrer nach den bestehenden Gesetzen im gerichtlichen Wege bestraft 
werden. 
  
1) Die Borschrist in Ziff. 6, nach der, wenn das Maß der Züchtigung ohne 
wirkliche Verletzung des Kindes überschritten wird, dies von der dem Schulwesen 
vorgesetzten Provinzialbehörde durch angemessene Disziplinarstrafen geahndet werden 
soll, während, wenn dem Kinde durch den Mißbrauch des Züchtigungsrechtes eine 
wirkliche Berletzung zugefügt wird, Uestrafung des Lehrers nach den bestehenden Ge- 
setzen im gerichtlichen Wege eintritt — steht in Widerspruch mit den Bestimmungen 
der Reichsgesetzgebung und sonach nicht mehr in Kraft, Erk. R. Ger. 18. Dez. 
1883 (E. Crim. IX. 302). Vergl. auch Erk. O. V. G. 7. Nov. 1882 (C. Bl. U. 
B. 1884 S. 187). 
Für die Frage, ob ein Lehrer das Züchtigungsrecht überschritten hat, kommt es 
auf die ihm durch seine vorgesetzte Aufsichtsbehörde über die Art und die Mittel der 
Handhabung des Züchtigungsrechtes ertheilten Borschriften an, Erk. 29. März 1887 
(E. Crim. XV. 376). 
Die Bestimmung der Kab. O. 14. Mai 1825, die den Rechtsweg wegen der 
nicht mit wirklicher Verletzung verbundenen Mißhandlungen und Injurien ausschloß 
ist durch §SS. 6 und 7 Einf. Ges. zur Str. P. O. und durch §. 11 Abs. 1 Einf. 
Ges. zum Gerichtsverfass. Ges. außer Kraft gesetzt und auch wegen leichter Injurien 
die gerichtliche Verfolgung der Lehrer im Strafprozesse als Regel zulässig geworden, 
Erk. 17. Okt. 1888 (E. O. B. XVI. 412). 
Das O. V. G. hat durch Urtheil 26. Nov. 1890 den Grundsatz ausgesprochen, 
daß jeder Verstoß der Lehrer gegen die Anweisungen, die ihnen von Seiten ihrer vor- 
gesetzten Behörden über die Anwendung des Züchtigungerechtes in präsumtiver Weise 
ertheilt sind, für eine Amtsüberschreitung im Sinne des §. 11 Ansf. Ges. zum Ge- 
richtsverf. Ges. zu erachten und daß überall, wo diese Boraussetzung zutrifft, die 
gerichtliche Verfolgung zuzulassen sei, gleichviel ob der Lehrer sich einer Ueberschreitung 
der gesetzlichen Grenzen des Züchtigungsrechtes schuldig gemacht hat oder nicht. 
In Folge dieser Entscheidung könnte die Zahl der Prozesse, zu denen die Ausübung 
des Züchtigungsrechtes der Lehrer Anlaß giebt, in erheblichem Maße durch eine Reihe 
von Fällen vermehrt werden, welche nothwendig mit Freisprechung endigen müssen, 
aber geeignet find, die Lehrer in der Handhabung des Züchtigungsrechtes unsicher zu 
machen. Der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten hat deshalb neuerdings den 
Regierungen und Schulcollegien aufgegeben, alle durch sie erlassenen allgemeinen 
Verfügungen, die dem den Lehrern zustehenden Züchtigungerechte binsichtlich des Maßes 
oder der Art seiner Ausübung engere Grenzen ziehen, als es die bestehenden Gesetze 
thun, ausdrücklich aufzuheben und damit die dringliche Mahnung an die Lehrer zu 
verbinden, daß sie von der ihnen gewährten Freiheit den rechten Gebrauch zu machen, 
auch niemals zu vergessen haben, daß die elterliche Zucht das Vorbild ler Schulzucht 
ist und bleiben muß, so wie daß pädagogische Mißgriffe, deren sie sich etwa bei Aus- 
übung der Schulzucht hinsichtlich des Maßes, der Miier oder Art der Strafe schuldig 
machen sollten, je nach der Art des einzelnen Falles strenger disziplinarischer Ahndung 
unterworfen bleiben. 
Bergl. auch Anm. zu §S. 50 oben S. 1231.
	        
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