Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Zweiter Band. (2)

Abschnitt XLI. Kirchliche Disziplinargewalt. 1621 
Gesetz über die kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung 
des Königlichen Gerichtshofes für kirchliche Augelegenheiten. 
Vom 12. Mai 18731) (G. S. S. 198). 
I. Allgemeine Bestimmungen. 
Art. 6 Ges. 21. Mai 1886. Kirchendiener im Sinne des Gesetzes vom 
12. Mai 1873 sind nur solche Personen, welche die mit einem geistlichen oder 
urisdictionellen Amt verbundenen Rechte und Verrichtungen ausüben 2). 
8. 2. Kirchliche Disziplinarstrafen, welche gegen die Freiheit oder das Vermögen 
gerichtet sind, dürfen nur nach Anhörung des Beschuldigten verhängt werden. 
Der Eutfernung aus dem Amte (Entlassung, Versetzung, Suspension, unfrei- 
wüige Emeritirung u. s. w.) muß ein geordnetes prozessualisches Verfahren voraus- 
gehen. 
In allen diesen Fällen ist die Entscheidung schriftlich unter Angabe der Gründe 
zu erlassen. 
Art. 7 Ges. 21. Mai 1886. Die Vorschrift des s. 2 Abs. 2 im Ges. vom 
12. Mai 1873 findet nur Anwendung, wenn mit der Entfernung aus dem Amte 
der Verlust oder eine Minderung des Amtseinkommens verbounden ist. 
§. 3. Die köärperliche Züchtigung ist als kirchliche Disziplinarstrafe oder Zuchk- 
mittel unzulässig. 
§. 4. Geldstrafen dürfen den Betrag von 30 Thalern oder, wenn das ein- 
monatliche Amtseinkommen höher ist, den Betrag des letzteren nicht übersteigen. 
6. 5. Die Strafe der Freiheitsentziehung (s. 2) darf nur in der Verweisung 
in eine Demeritenanstalt bestehen. 
Die Verweisung darf die Dauer von drei Monaten nicht übersteigen und die 
Bollstreckung derselben wider den Willen des Betroffenen weder begonnen, noch fort- 
gesetzt werden. Die Verweisung in eine außerdeutsche Demeritenanstalt ist unzulässig. 
§. 6. Die Demeritenanstalten find der staatlichen Aufsicht unterworfen. — — 
Art. 8 Ges. 21. Mai 1886. Dem Minister der geistlichen Angelegenheiten 
sind dio Statuten und die Hausordnung der Demeritenanstalten einzureichen, 
sowie die Namen der Leiter derselben mitzutheilen. Am Schlusse jedes Jahres 
ist dem Minister der geistlichen Angelegenheiten ein Verzeichniss der Deme- 
riten, welches deren Namen, die gegen sie erkannten Strafen und die Zeit der 
Aufnahme und Entlassung enthält, einzureichen. 
Die in den 88. 6 und 7 des Gesetzes vom 12. Mai 1878 enthaltenen be- 
sonderen Vorschriften wegen der Staatsaufsicht werden aufgehoben. 
#§. S. Der Oberpräfident ist befugt, die Befolgung der in den 88. 5 bis 7 
enthaltenen Vorschriften und der auf Grund derselben von ihm erlassenen Ver- 
fügungen durch Geldstrafen bis zum Betrage von 1000 Thalern zu erzwingen. 
Die Androhung und Festsetzung der Strafe darf wiederholt werden, bis dem 
Gesetze genügt ist. · 
Außerdem kann die Demeritenanstalt geschlossen werden. 
8. 9. Eine Vollstreckung kirchlicher Disziplinarentscheidungen im Wege der 
Staatsverwaltung findet nur dann statt, wenn dieselben von dem Oberpräsidenten 
nach erfolgter Prüfung der Sache für vollstreckbar erklärt worden sind. 
II. Berufung an den Staat. 
5. 105½. 
— 
1) Während sich das Gesetz über die Straf= und Zuchtmittel vom 13. Mai 1873 
auf alle Religionsgesellschaften bezieht, trifft das Gesetz vom 12. Mai 1873 nene 
Bestimmungen hinsichtlich der Disziplinargewalt über die Diener der privilegirten 
christlichen Kirchen. 
„) Ueber die Frage, wer zu den Kirchendienern zu rechnen ist, vergl. Koch, Land- 
recht, 8. Aufl. Anm. 84 auf S. 271 ff. 
:) §§6. 10—23 sind aufgehoben durch Art. 10 Ges. 21. Mai 1886. 
Illing-Kautz, Handbuch II, 7. Aufl. 96
	        
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