30 1. Tl. Kriegserklärung u. Friedensschluß n. deutsch. Staatsrecht.
Ansicht wird in der Literatur fast einstimmig vertreten. Nur
v. Seydelt) und Heilborne) bestreiten dieses Recht dem
Kaiser. v. Seydel sagt nämlich: einmal erwähne die Reichs-
verfassung jenes Recht nicht, sodann bezeichneten die Ausdrücke
„Retorsion und Repressalien“ überhaupt nicht Maßregeln recht-
lich bestimmter Art, sondern nur den Zweck solcher Maßregeln,
die verschiedensten Inhalts sein könnten. Von diesem ihrem
Inhalte, nicht aber von dem Zweck ihrer Anwendung hänge es
ab, ob der Kaiser innerhalb seiner Zuständigheeit jene Maß-
regeln treffen könne. Dagegen ist einzuwenden, daß gerade
Repressalien, insbesondere die Friedensblockade, ihrem Inhalte
nach Zwangsmittel darstellen und als solche von der Staaten-
gemeinschaft anerkannt sind.)
In der Wahrnehmung der auswärtigen Beziehungen des
Reiches hat der Kaiser noch die unbeschränkte Befugnis, die
bei Führung eines Krieges üblichen oder sich als notwendig
erweisenden Maßnahmen zu treffen, so z. B. den diplomatischen
Verkehr mit dem Gegner abzubrechen, ferner die Ausweisung
der feindlichen Landesangehörigen und sonstige an den Kriegs-
zustand geknüpften Maßregeln anzuordnen. Auch diese Befugnis
ist in der Reichsverfassung nicht besonders angegeben, aber als
Folgerung aus dem verfassungsmäßigen Rechte der Kriegser-
klärung und Kriegführung aufzufassen. )
Nur in den Fällen, wo das Reich einen Verteidigungskrieg
in den soeben umgrenzten Fällen führt, wo „ein Angriff auf
das Bundesgebiet oder dessen Küsten“ vorliegt, ist der Kaiser
ausschließlich zur Entscheidung über den Beginn des Krieges
berufen.
In allen anderen Fällen hat der Bundesrat bei der Ent-
scheidung über Krieg und Frieden mitzuwirken. Hierher gehören
sowohl die Fälle, wo zwar ein Angriff von Seiten des Gegners
erfolgt, aber nicht „auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten“,
also z. B., wie oben erwähnt, auf die Kolonien, als insbesondere
alle diejenigen Fälle, wo das Reich einen Angriffskrieg in dem
1) Kommentar S. 119. 2) System S. 352.
5) Vg. v. Lis z# . O. 8 38 Ziff. III; Haenel I S. 533.
4) Wenm v. Mohl, R. St. R. S. 310 diese Besugnis des Kaisers als ein
besonderes, „unbeschränktes Recht der Abbrechung des diplomatischen Verkehrs“ auf-
saßt, so ist dies allerdings unrichtig. Vgl. Laband, 5. Aufl. I S. 232 d.