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gebiets münden. Was an Landesprodukten auf ihnen bis zur Mündung gelangt, wird dort
von den Küstenfahrern übernommen, für die Lamu den Hauptzielpunkt bildet. Der Hafen am
Ausfluß des Scheri, der einzige an diesem Theil der Küste, hat nur eine untergeordnete Be-
deutung für den Verkehr. Der Ausbau der an sich als Hafen werthvollen Mandabucht würde
nur für diejenige Macht in Frage kommen können, welche im Besitze der Inseln ist und den Zugang
beherrscht. Es ergiebt sich hieraus, daß bei dem Mangel an Karawanenstraßen die Aussichten,
den Export über dieses Küstengebiet zu lenken, nur gering sind. Ebenso wenig wird man sich
von einer Entwickelung der landwirthschaftlichen Produktion Erfolg versprechen können. Die
deutscherseits angestellten Versuche mit dem Anbau von Handelsgewächsen sind zwar an sich
nicht fehlgeschlagen. Der Ausdehnung dieser Betriebsart steht indessen der Mangel an Arbeitern
entgegen. Ob die VBiehzucht, welche den Haupterwerbszweig der streitbaren Hirtenvölker im
Hinterlande bildet, einer höheren Entwicklung fähig ist, darüber lassen sich bei den spärlichen
Nachrichten über die Bodenbeschaffenheit daselbst uur Vermuthungen aufstellen.
Bei dieser Sachlage war zu erwägen, ob für die Kaiserliche Regierung noch ein aus-
reichender Grund bestehe, bezüglich dieses Küstenstrichs die Verantwortlichkeit einer Schutzmacht
fernerhin zu tragen. Deutsche Interessen sind dort, abgesehen von einigen landwirthschaftlichen
Kleinbetrieben, nur durch das Unternehmen vertreten, welches von den Gebrüdern Denhardt
eingeleitet, von der deutschen Witu-Gesellschaft fortgesetzt und neuerdings von der Deutsch-
Ostafrikanischen Gesellschaft übernommen worden ist. Diesem Unternehmen dient als Grund-
lage ein von dem Sultan von Witu laut Vertrages vom 8. April 1885 an Clemens Den-
hardt mit allen Hoheitsrechten abgetretener Landstrich nördlich von Kipini an der Küste im
angeblichen Umfange von 25 deutschen Quadratmeilen. Daß das Ucbereinkommen mit der
großbritannischen Regierung die erworbenen Rechte der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft voll-
kommen unberührt läßt, bedarf als selbstverständlich hier nur der Erwähnung.
Im Lichte dieser Erwägungen stellte sich das Recht der deutschen Schutzherrschaft
über die Küste von Witu und Somaliland als ein Gegenstand dar, welcher wegen der Lage
dieses Gebietes im Anschluß an die englische Interessensphäre für England werthvoller als für
uns ist und dessen Aufgabe im Kompensationswege ohne Schädigung der deutschen Inter-
essenten — wie von diesen anerkannt ist — geschehen konnte.
III. Die deutsch-ostafrikanische Intcressensphäre.
Die deutsche Interessensphäre in Ost-Afrika war nach dem sogenannten Londoner Ab-
kommen vom 29. Oktober, 1. November 1886 wie folgt begrenzt:
Im Süden durch den Rowuma-Fluß und im Norden durch eine Linie, welche von
der Mündung des Flusses Wanga oder Umbe aus in näher bestimmtem Laufe bis zu dem-
senigen Punkte am Ostuser des Victoria-Nyanza sich fortsetzt, welcher von dem 1. Grad süd-
licher Breite getroffen wird. Der vor diesem Gebiete liegende Küstenstreifen in einer Breite
von 10 Seemeilen war dem Sultau von Sansibar zugesprochen worden.
Das deutsche Interessengebiet war hiermit im Norden, Süden und Osten fest begrenzt.
Dagegen war über die Ausdehnung desselben nach Westen, also nach dem Innern zu, eine
Vereinbarung in dem Abkommen von 1886 noch nicht getroffen worden.
Erst Mitte des folgenden Jahres wurde deutscherseits in London erklärt, daß wir
bei dem Abkommen von 1886 von der Voraussetzung ausgegangen seien, daß England uns
für die Zukunft überhaupt südlich des Victoria-Sees und östlich vom Taganika= und Nyassa-
See freie Hand lassen würde.
Die englische Regierung erklärte ihr Einverständniß mit dieser Auffassung unter der
Voraussetzung, daß auch die deutsche Regierung im Rücken der englischen Interessensphäre keine
Erwerbungen zulassen werde. Die deutsche Regierung acceptirte dies. In einer vom Aus-