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deutsche Truppe und durch deutsche Schiffe niedergeworfen worden ist. Die Küste bildet die
Basis für das Vorschreiten ins Innere des Landes. Eine kraftvolle und zielbewußte Ver-
waltung, eine Erschließung des Landes ist nur möglich, wenn wir, unter Ausschluß fremden
Einflusses, unbeschränkte Herren der Küste sind. Um ein greifbares, auch den Eingeborenen
verständliches Resultat für die von uns ausgeübte Herrschaft im Lande aufzuweisen, handelte
es sich daher jetzt darum, ein Abkommen mit dem Sultan zu treffen, wonach der Letztere die
Küste von Umbe bis Rovuma nicht nur pachtweise, wie dies bereits geschehen, deutschen Inter-
essenten weiter beläßt, sondern auch formell an das Deutsche Reich abtritt. Erst nach Abtretung
der Küste durch den Sultan von Sansibar kann das Reich, ebenso wie in Neu-Guinea, die
unmittelbare Verwaltung übernehmen; denn es ist ausgeschlossen, daß Se. Majestät der
Deutsche Kaiser als Beauftragter des Sultans von Sansibar Hoheitsrechte ausübe.
Fassen wir Vorstehendes zusammen, so ergiebt sich als Grundgedanke der Verein-
barungen über unsern Ost-Asrika-Besitz das Folgende:
Es kann nicht darauf ankommen, weiter auszugreifen, sondern einen zusammenhängenden
Besitz, in dem fremde Einmischung ausgeschlossen ist, zu erhalten, um hier ungestört auf die
ökonomische Entwickelung des Landes, die Verbreitung christlicher Gesittung, die Sicherung der
Karawanenstraßen und die Ausrottung des Sklavenhandels hinzuwirken. Den kühnen Männern,
welche, von Begeisterung getragen, jene weiten Gebiete für Deutschland erworben hatten, gebührt
unsere vollste Anerkennung. Aber die Periode des Flaggenhissens und des Vertragschließens
muß beendet werden, um das Erworbene nutzbar zu machen. Es beginnt jetzt die Zeit ernster
unscheinbarer Arbeit, für welche voraussichtlich auf ein halbes Jahrhundert ausreichender Stoff
vorhanden sein wird. Nach Abtretung des Küstenstrichs kann die Regierung aus dem Kriegs-
zustand allmählich zu unmittelbarer Reichsverwaltung übergehen und in Gemeinschaft mit der
Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft zu friedlicher Arbeit schreiten. Die Regierung hat nun erst
die Möglichkeit, ihren Willen, die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft in die Höhe zu briugen,
zu bethätigen, und die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft wird befähigt werden, die Geldmittel
zu erwirthschaften, welche Reichszuschüsse entbehrlich machen. Es steht zu hoffen, daß die
Herstellung klarer Verhältnisse und das Gefühl der Sicherheit unter dem Schutz der Regierung
auch dem Kapital einen neuen Antrieb gewähren wird, sich jenen Gebieten zuzuwenden.
Wir gelangen nunmehr zu demjenigen Theil des Abkommens, welcher sich auf die
Uebernahme des Protektorats über Sansibar durch England bezieht.
Der gegenwärtige Zustand, welcher den Sultan von Sansibar von den Schwankungen
eines mehr oder minder offenen Wettstreits zwischen englischen und deutschen Interessen abhängig
macht, war unerträglich geworden. Es war nothwendig, demselben ein Ende zu machen. Dies
war nur in der Weise möglich, daß entweder Deutschland oder England der leitende Einfluß
in Sansibar zugestanden wurde. Daß England der historischen Entwickelung seiner Stellung
zu Sansibar gemäß hierauf einen größeren Anspruch hatte, als Deutschland, kann wohl nicht
zweifelhaft sein. Seit Langem bestand zwischen Bombay und Sansibar eine enge Handels-
verbindung; indische Kaufleute — englische Unterthanen — hatten sich in Sansibar nieder-
gelassen und vermöge ihrer geschäftlichen Gewandtheit bald Reichthum und Einfluß erworben.
In politischer Hinsicht war England seit Anfang dieses Jahrhunderts mit Sansibar in Ver-
bindung getreten. Schon 1822 wurde englischerseits mit Seyid Said der erste Vertrag
abgeschlossen, durch welchen dieser sich verpflichtete, den Sklavenhandel von seinen arabischen
und afrikanischen Besitzungen aus nach dem Auslande zu verhindern. Wie groß um die Mitte
dieses Jahrhunderts das englische Ansehen in Sansibar war, beweist der Umstand, daß, als
nach dem Tode Seyid Saids im Jahre 1856 zwischen dessen Söhnen ein Streit über die
Herrschaft in Sansibar und Maskat entstand, die Entscheidung der englischen Regierung anheim-
gestellt wurde. Der General-Gouverneur von Indien, Lord Canning, entschied im Jahre 1861
dahin, daß in Sansibar Seyid Madjid, der Vorgänger des bekannten Seyid Bargasch,