Full text: Deutsches Kolonialblatt. I. Jahrgang, 1890. (1)

einem Gespenst herab, welches vor der hell 
leuchtenden Fackel Hygieias sich in Nebel auf— 
löst. — Einstimmig, unabweisbar und über— 
wältigend lautete bis in die sechziger Jahre 
das Resultat aller vergleichenden Mortalitäts— 
statistiken in den Tropen: sowohl in Süd- 
Amerika wie in Afrika, sowohl in Vorder- 
Indien wie am Malayischen Archipel — 
ungünstig für den eingewanderten Europäer. 
Haarsträubende Zahlen, zwei= bis zehnmal 
größere Sterbeziffern für den europäischen, wie 
für den eingeborenen Soldaten schienen ein für 
allemal jeden Einspruch, jeden Zweifel un- 
möglich zu machen. Die Frage schien end- 
gültig entschieden. Im Kampfe um das Dasein 
in den Tropen unterliegt die fremde Rasse, 
und trägt die den dortigen Verhältnissen an- 
gepaßte den Sieg davon — so lautete das 
auf die vorhandenen statistischen Angaben sich 
gründende Endurtheil. 
Wie beschämend für die Wissenschaft nun 
auch das geflügelte Wort des berühmten 
Aragô sein möge: „I1 u' a gueère des 
verités scientiliques, qui durent plus d’un 
sicche, et ce sont encore les meilleures“, 
bei dieser Frage kommt es noch einmal in 
seiner vollen Richtigkeit und Klarheit zur Gel- 
tung. Das Resultat der Mortalitätsstatistiken 
der kolonialen Armeen in den letzten Decennien, 
sei es, daß sie aus Vorder-Indien oder aus 
dem Indischen Archipel, aus Amerika oder aus 
Afrika stammen, steht mit der aus den sechziger 
Jahren uns überlieferten Schlußfolgerung im 
schroffsten Widerspruch, und verkündet die Bot- 
schaft, daß die früher erhaltenen Zahlen nicht 
durch eine größere oder geringere, den Rassen 
zukommende Vulnerabilität, sondern durch an- 
dere äußere Umstände bedingt gewesen sein 
müssen. In einem der ersten Decennien dieses 
Jahrhunderts, 
von den europäischen Soldaten unserer Ost- 
Indischen Armee während des Wüthens eines 
heftigen Krieges und der Schrecknisse der 
Cholera jährlich nicht weniger wie 170 pro 
Tausend, von den Eingeborenen nur 138; in 
dem Decennium 1869 bis 1878 während des 
Atjeh-Krieges und schnell aufeinander folgender 
Cholera-Epidemien betrug die mittlere jährliche 
Sterblichkeit der europäischen Soldaten 60, 
pro Tausend, diejenige der Eingeborenen 38,7; 
im letzten Decennio 1879 bis 1888 endlich, 
obgleich Krieg und Cholera fortwütheten, sanf 
die Sterblichkeit der europäischen Soldaten bis 
auf 30,6 pro Tausend, während diejenige der 
Eingeborenen bis auf 40,7 stieg. Seit dem 
Anfang dieses Jahrhunderts ging also die 
Mortalität der in dem Malayischen Archipel 
dienenden europäischen Soldaten fast um das 
199 
  
  
von 1819 bis 1828, starben 
  
  
Sechsfache herab, und wurde in den letzten 
zehn Jahren selbst nicht unbedeutend niedriger, 
wie die Sterblichkeit der einst für bevorzugt 
gehaltenen Nasse. Eine vollkommen gleiche 
Sprache reden die aus Vorder-Indien stam- 
menden Zahlen. Als im Jahre 1863 die 
Royal Commission ernannt wurde, um der Ur- 
sache der großen Sterblichkeit der europäischen 
Soldaten in Vorder-Indien nachzuforschen und 
der Königin von England Maßregeln vorzu- 
schlagen, damit dieser hohen Mortalität, wenn 
möglich, Einhalt gethan würde, konnte der 
Report, welcher in der englischen medizinischen 
Litteratur als ein Muster von Fleiß, Ausdauer, 
nüchternen und praktischen Anweisungen, rich- 
tigen und gesunden hygienischen Begriffen kaum 
sein Gegenstück findet, nur darauf hinweisen, 
daß die mittlere jährliche Mortalität der euro- 
päischen Soldaten der „Jndian Army“ vom 
Jahre 1800 bis 1830 84,6 pro Tausend, 
vom Jahre 1830 bis 1856 57,7 pro Tausend 
betragen hatte. Wenn wir nun die in den 
letzten Decennien erhaltenen Mortalitätsziffern. 
überblicken, von 1869 bis 1878 eine Mor- 
talität von 19,34, von 1879 bis 1887 eine 
Mortalität von 16,27, dann ist auch hier die 
mittlere jährliche Sterblichkeit fast um das 
Sechsfache herabgegangen, und steht schon seit 
zwei Decennien hinter der Mortalität der 
asiatischen Truppen bedeutend zurück. Und 
das gilt nicht nur von der ganzen Armee, in 
welcher die Zahl der Eingeborenen (120 000) 
fast doppelt so groß ist, wie diejenige der euro- 
päischen Soldaten; es gilt auch z. B. von der 
in Bengalen dienenden Armec, welche ebenso 
wie das mit der Niederländischen Ost-Indischen 
Armee der Fall ist, fast genau zur Hälfte aus 
Europäern und zur anderen Hälfte aus Asiaten 
besteht. 
Auch aus West-Indien kommt dieselbe 
Nachricht zu uns. Nehmen wir z. B. Jamaica, 
auf welcher Jusel die mittlere jährliche Sterb- 
lichkeit der europäischen Soldaten von 1820 
bis 1836 nicht weniger wie 121 pro Tausend 
betrug, während diejenige der Neger-Truppen 
sich auf 30 pro Tausend herausstellte, und 
vergleichen wir damit die Sterblichkeit im letzten 
Decennio (1879 bis 1887) 11,02 pro Tausend 
  
Armee « 
so gut als gar keinen Unterschied mit Bezug 
für die Europäer, 11,62 für die Neger, dann 
ist selbst hier von einer zehnmal verminderten 
Mortalität für die Europäer die Rede.“ 
Was insbesondere die Widerstandsfähigkeit 
des Europäers gegen die Malaria betrifft, so 
bemerkt Professor Stokvis hierüber unter 
anderem Folgendes: „In den letzten 25 Jahren 
bieten die beiden Theile unserer Ost-Indischen 
die weiße und die farbige Rasse — 
 
	        
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