Full text: Deutsches Kolonialblatt. VI. Jahrgang, 1895. (6)

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einmüthig zusammengestanden und dem vordringenden 
Gegner entgegengetreten sein, so hätte sich an ihrer 
bedentend überlegenen Bewaffnung mit Gewehren der 
muhammedanische Anprall unbedingt brechen müssen. 
Welch großen Reichthum an Feuerwaffen die Wutés 
besitzen, dürfte schon der Umstand beweisen, daß, 
trotzdem bei meinem Einzug in Ngila die Haupt- 
macht im Kriegslager war, ich dort etwa 300 Ge- 
wehre sah. Ich glaube, daß weder der Samido 
von „Tibati“ noch der Emir von Yola auch nur die 
Hälfte dieser Zahl ihr Eigen neunen können. 
Lediglich die Landstriche direkt nördlich des 
Sannaga und am Unterlaufe des Mbam sind recht ange- 
baut und bewohnt. Die nördlichen Gegenden sind durch 
die jahrelangen Naubzüge sehr enlvölkert, und wir 
konnten oft tagelang marschiren, ehe wir ein arm- 
seliges Farmdorf erreichten. Dagegen sind die 
Wutéorte und speziell Ngila das Eldorado der 
Haussa-Kaufleute, welche wir überall antrafen. 
Neben Ngila haben sich die Haussas zwei Nieder- 
lassungen mit etwa 50 bis 60 Hütten erbaut. Sie 
kommen hierher in größeren oder kleineren Kara- 
wanen; Pferde, Stoffe, Perlen und Hausgeräthe 
mit sich führend. Die Einfuhr von Pulver und 
Gewehren ist ihnen vom Tibatihäuptling untersagt 
und auch schon dadurch erschwert, daß, da in den 
Faktoreien des Benus und mittleren Niger Beides 
nicht verkauft werden darf, der Transport sich über- 
mäßig vertheuern würde. Alle mitgebrachten Gegen- 
stände nun haben diese Händler sogleich dem Häupt- 
ling einzuliefern, da dieser allein das Monopol des 
Handels besitzt. Hierfür ertheilt er ihnen die Er- 
laubniß, sich auf belicbig lange Zeit, meist ein bis 
zwei Jahre, niederzulassen und zu jagen, während 
ihre Weiber Kleinhandel mit von ihnen bereiteten 
Lebensmitteln treiben und das Feld bebanen. Von den 
erlegten Elefanten bekommt einen Zahn der Häupt- 
ling, und nach Ablauf einer gewissen Zeit erhalten 
die Haussa-Kaufleute von ihm eine in seinem Be- 
lieben stehende Anzahl Elefantenzähne und Sklaven. 
Trotzdem sie nun vollkommen der Willkür der 
Häuptlinge anheimgegeben sind, scheinen sie doch 
immerhin ein ganz brillantes Geschäft zu machen, und 
wird es, so lange die Verkehrsverhällnisse von der 
Küste in diese Hinterländer sich nicht bessern, für 
unsere Kaufleute stets schwierig sein mit ihnen zu 
konkurriren, denn abgesehen davon, daß sie das 
Elfenbein immerhin noch billiger erhalten als der 
Weiße, transportiren sie mit einem Material, welches 
sie nicht nur nichts kostet, sondern an dem sic noch 
verdienen — den Sklaven. 
Diese Länder vom Mbam bis zum Sangha 
sind das eigentliche Zeutrum des westafrikanischen 
Elfenbeinhandels, und sollen speziell bei dem östlich 
von Ngila wohnenden- Häuptling Mango noch große 
Massen von Elfenbein liegen. Es ist jedoch für 
die Haussahändler sehr schwer, dorthin zu kommen, 
da der eifersüchtige Lionn ihnen den Zugang ver- 
wehrt und der Weg von Norden durch das Gebiet 
  
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der räuberischen Bayae führt. Außerdem sind aber 
auch diese Gegenden das Reserooir, aus welchem 
die weit nordwärts liegenden Länder die Haussa- 
und Tshadseestaaten, ja selbst die Wüstenvölker, ihren 
gewaltigen Bedarf an Sklaven decken, und nur das 
Erscheinen des Wcißen am mittleren Sannaga und 
in Ya#nde hat dem Vordringer dieser Sklaven- 
räuber nach Westen und Süden Halt geboten. Wie 
bedeutend die Sklavenausfuhr aus diesen Ländern 
ist beweist der Umstand, daß während meines fünf- 
wöchigen Aufenthalts in Sanserni-Tibati etwa 500 
meist von den Wutés gelieferte Sklaven nach 
Norden transportirt wurden. 
Da ich hartnäckig darauf bestand, ihn nicht im 
Kriegslager aufzusuchen, und mich in Watark nicht 
vom Flecke rührte, bequemte sich endlich der Häuptling, 
mich in Ngila zu empfangen. Am Morgen des 
28. März traf ich mit ihm in einer Farm vor dem 
Ort zusammen und wurde in feierlichem Aufzuge 
dort eingeführt. 
Nun wurden uns 12 Hütten in Ngila ange- 
wiesen und die seierliche Audienz für den nächsten 
Nachmittag angesetzt. 
Das Nogila, welches ich nun betreten hatte, war 
nicht dasselbe, in welchem meine Vorgänger vom 
alten Ngila empfangen wurden. Dieses Dorf steht 
nicht mehr, sondern wurde vor anderthalb Jahren 
nach dem Tode des alten Häuptlings verlassen und 
ist nun zerfallen. Das neue liegt elwa 10 km 
nordöstlich davon in weitem Gebirgskessel, infolge- 
dessen das Klima dortselbst weniger rauh ist, als 
an dem alten Orte. Es dürfte 5000 bis 6000 
Einwohner haben, nicht mitgerechnet die große An- 
zahl der in den umliegenden Farmorten Wohnenden. 
Die Hütten der Wutes sind meist geräumiger als 
diejenigen der nördlich wohnenden Völker. Die 
größeren runden Häuser haben oft einen Durchmesser 
von Lm, während die spitzen Dächer sich bis zu 
einer Höhe von 5 m erheben. Im Inneren sind sie 
in der Regel durch eine Bambuswand einmal ab- 
getheilt. Die Hütten des Häuptlings unterscheiden 
sich in keiner Weise von denen seinen Unterthanen, 
und hat der Königsplatz nicht einmal eine eigene 
Umzäunung. 
Auf besonderen Prunk scheint Lionn über- 
haupt, nicht viel zu geben. Er ist etwa 25 Jahre 
alt, mit gewöhnlichen Zügen, würdelosem, ausge- 
dunsenem Gesicht, dessen schwammige Züge und stets 
verschleierte Augen auf den ersten Blick den Trinker 
verrathen, und thatsächlich fand ich ihn auch oft am 
frühesten Morgen schon vollkommen betrunken. Seine 
Herrschaft ist der ausgesprochenste Despotismus. 
Er ist unbeschränkter Herr über Leben und Eigen- 
thum aller seiner Unterthanen; neben ihm muß jeder 
derselben, selbst ein so mächtiger Häuptling wie 
Watar, auf der bloßen Erde sitzen. Niemand außer 
ihm hat das Recht zu handeln, und so kommt es, 
daß das ganze Volk, mit Ausnahme der zum Hof- 
staat des Häuptlings gehörigen Großen, in größter
	        
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