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bis zum Beginn des Jahrs 1841, abgedruckt in
Knorr, Die polnischen Aufstände). Es folgte dann
unter der milden Regierung Friedrich Wil-
helms IV. wieder eine Periode friedlicher Ent-
wicklung, unterbrochen durch die bald beschwich-
tigten Aufstände des Jahrs 1846, eine Periode,
die sich nach dem Zustandekommen der preußischen
Verfassung vom 31. Jan. 1850 fortsetzte bis in
die Regierungszeit König Wilhelms I. hinein.
Mit dem gleich nach der Gründung des Deut-
schen Reichs ausbrechenden Kulturkampf unseligen
Andenkens stand eine Verschärfung der Maß-
nahmen der preußischen Regierung gegen die Polen
in offenbarem und nach der ganzen Tendenz der
Bewegung erklärlichem Zusammenhang. Fürst
Bismarck selbst gab einen solchen in seiner Rede
im preußischen Abgeordnetenhaus vom 28. Jan.
1886 zu, allerdings mit der irrtümlichen Be-
gründung, daß die Aufhebung der katholischen
Abteilung des preußischen Kultusministeriums der
eigentliche Grund gewesen, „auf dem er in den
Kulturkampf geraten sei“, und daß dieselbe not-
wendig gewesen sei, weil die katholische Abteilung
„die polnischen Bestrebungen gegenüber dem Kö-
nig mit seiner Autorität und unter seinem Siegel
walummen hätte“. (Stenograph. Berichte
Tatsache ist, daß der erste gesetzgeberische Vor-
stoß, den Bismarck gegen die Polen unternahm,
zeitlich zusammenfällt mit dem Abflauen des
Kulturkampfs und der Annahme des „Friedens-
gesetzes“ vom 26. Mai 1886. Bismarck wollte
neben der Bekämpfung des Polentums auf dem
Boden des Religionsunterrichts und der Schule
hauptsächlich auf dem wirtschaftlichen Ge-
biet, insbesondere der Bodenpolitik, sein Ziel
erreichen, ein Weg, den man bereits in den 1830er
Jahren unter Flottwells Leitung versucht hatte.
Schon die Thronrede zur Eröffnung des preußi-
schen Landtags vom 14. Jan. 1886 kündigte Vor-
lagen zum Schutz des Deutschtums an mit den
Worten: „Das Zurückdrängen des deutschen Ele-
ments durch das polnische in einigen östlichen Pro-
vinzen legt der Regierung die Pflicht auf, Maß-
regeln zu treffen, welche den Bestand und die
Entwicklung der deutschen Bevölkerung sicherzu-
stellen geeignet sind.“ Die Ungeduld der konser-
vativen und nationalliberalen Partei war so groß,
daß man den Eingang der Gesetzesvorlage nicht
abwarten konnte. Ein Antrag Achenbach und
Genossen, der die Genugtuung über dieses Vor-
haben der Regierung zum Ausdruck brachte und
zugleich die Bereitwilligkeit, die zur Durchführung
der beabsichtigten Maßregeln erforderlichen Mittel
zu bewilligen, führte im preußischen Abgeord-
netenhaus zu höchst interessanten Debatten am
28., 29. und 30. Jan. 1886. Er wurde schließ-
lich, nachdem ein Antrag des Zentrums und der
Freisinnigen auf Überweisung an die Budget-
kommission in namentlicher Abstimmung mit
234 gegen 153 Stimmen verworfen worden war,
Polenfrage.
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mit 244 Stimmen angenommen. Das Zentrum,
die Polen und die Freisinnigen enthielten sich der
Abstimmung, da sie in dem Vorgehen der Mehr-
heit eine Verletzung der Geschäftsordnung er-
blickten, die verlangt, daß Anträge, die eine Geld-
bewilligung in sich schließen oder in Zukunft her-
beizuführen bestimmt sind, zuerst einer Kom-
missionsberatung unterzogen werden müssen (827
der Gesch.-Ord.).
Am 9. Febr. 1886 ging dem Landtag ein Ge-
setzentwurf zu „betreffend die Beförderung deut-
scher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen
und Posen“ (Drucksachen Nr 45). Das Wesent-
liche desselben bildete die Bestimmung des § 1,
wonach „der Staatsregierung ein Fonds von 100
Mill. M zur Verfügung gestellt werden sollte, um
zur Stärkung des deutschen Elements in den
Provinzen Westpreußen und Posen gegen polo-
nisierende Bestrebungen durch Ansiedlung deut-
scher Bauern und Arbeiter Grundstücke käuflich
zu erwerben und, soweit erforderlich, diejenigen
Kosten zu bestreiten, welche entstehen a) aus der
erstmaligen Einrichtung, b) aus der erstmaligen
Reglung der Gemeinde-, Kirchen= und Schul-
verhältnisse neuer Stellen von mittlerem oder
kleinem Umfang oder ganzer Landgemeinden“.
Zur Ausführung des Gesetzes sollte die dem Staats-
ministerium unterstellte „Ansiedlungskommission“
errichtet werden, deren Zusammensetzung, Sitz, Ge-
schäftskreis und Befugnisse durch Königl. Ver-
ordnung festgesetzt werden sollten.
Vergebens wiesen die Redner des Zentrums,
der Polen und der Freisinnigen auf die Aussichts-
losigkeit, Gefährlichkeit und Verfassungswidrigkeit
des geplanten gesetzgeberischen Vorgehens hin:
am 7. April 1886 wurde der Entwurf vom Ab-
geordnetenhaus in namentlicher Abstimmung mit
214 gegen 120 Stimmen angenommen und er-
schien unter dem Datum des 26. April 1886
in der Gesetzsammlung (S. 131). Die Minder-
heit stand, wie Windthorst bei der 3. Lesung
in eindringlicher Rede bemerkt hatte, „einer fest
geschlossenen Phalanx gegenüber, die auch, wenn
Engelszungen redeten, zu einer andern An-
schauung nicht gebracht würde“. Mit vollem Recht
nannte derselbe Redner die Annahme des Gesetz-
entwurfs „einen Wendepunkt der Geschichte“ und
erklärte im Gegensatz zu den Gegnern und den
Regierungsvertretern, die den Entwurf ein Gesetz
des Friedens genannt hatten: „Dies ist kein Gesetz
des Friedens, dies ist ein Gesetz des Kampfes auf
Leben und Tod.“ (Stenograph. Berichte S. 727,
Sitzung vom 23. Febr. 1886.) Über die Folgen
des Gesetzes äußerte sich Windthorst in weiser
Voraussicht am 7. April 1886 (Stenograph.
Berichte S. 1713): „Es wird vielleicht nach
20 Jahren oder möglicherweise schon nach kürzerer
Zeit klar werden, daß der Weg, der hier verfolgt
wird, ein ebenso perniziöser war, wie der andere
(der Maigesetzgebung) gewesen ist!“ Er hatte
wahr gesprochen! Schon durch das Gesetz vom