Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVII. Jahrgang, 1906. (17)

auch kleinere Diebstähle kommen nur selten vor. 
Mutige Frauen können jetzt von einer Station zur 
anderen drei Tage lang allein reisen. Diese Ruhe 
und Sicherheit der Karawanenrelsen ersparen der 
Mission viele Mühe und Sorge; sie verschaffen ihr 
eine Postbeförderung alle 2 Wochen, während man 
früher 2 Monate warten mußte. 
Die groben Auswüchse heidnischer Barbarei sind 
zwar noch nicht verschwunden, aber man sieht sie 
deutlich zurückgehen. Vor 10 Jahren waren Kriege 
mit den Nachbarstämmen und das Wiederauflodern 
alter Fehden an der Tagesordnung. Einen Nachbar 
zu beschuldigen, war in der Regel nicht die letzte 
Zuflucht, sondern die erste. Der Starke lebte auf 
Kosten des Schwachen. Jeder trug Gewehr, Speer 
und Messer bei sich; niemand wagte, sein Dorf zu 
verlassen und an die Küste oder weiter ins Innere 
zu gehen. Ein Stamm war gegen den anderen, 
Streit und Kampf hörten nicht auf. Heute ist es 
ganz anders. Messer, Speer und Gewehr, wenn 
sie nicht buchstäblich in Pflugschar oder Sichel ver- 
wandelt sind, rosten in den Hütten oder werden doch 
nur noch zur Jogd gebraucht. Alte Feinde leben,äußer- 
lich wenigstens, als Freunde. Sie kaufen und ver- 
kaufen, sie heiraten untereinander, während fie doch 
früher wie Jude und Samartter zueinander standen. 
Es soll nicht behauptet werden, daß diese Ver- 
wandlung vollen Bestand hätte, wenn der Druck der 
Regierung aufhörte, und die Beamten sich nicht mehr 
um die Beschwerden kümmerten und auf ihre Ab- 
stellung bedacht wären. Die Stämme sind ohne 
Zweifel nicht fähig, sich selbst zu regieren; sie würden 
wahrscheinlich wieder zu den Waffen zurückkehren. 
Aber Dutzende, ja Hunderte sind jetzt gegen dieses 
Verfahren und ziehen es vor, mit Abraham zu 
sprechen: „Lieber, laß nicht Zank sein zwischen mir 
und dir!“ Ein brüderlicher Sinn ist in viele Herzen 
eingezogen und übt einen bedeutenden Elnfluß auf 
das Zusammenleben der Leute aus. 
Das Gewerbe der Zauberdoktoren und 
Quacksalber geht sichtlich zurück. Ihr schädliches 
Treiben ist noch nicht abgetan, aber es ist nur noch 
eine Frage der Zeit, wann das der Fall sein wird. 
Hunderte benutzen den Ngi (Medizinmann) nicht 
mehr. Sie verabscheuen jene Behandlung, bei der 
ein Mensch krank werden mußte, wenn er es nicht 
vorher schon war. Statt dessen sagte eine ein- 
geborene kranke Frau vot einigen Tagen zu mir: 
„Ich möchte, daß du für mich betest. Gott ist der 
Höchste, er vermag mehr als Medizin.“ Die Leute 
sind sehr für die auf den Missionsstationen geübte 
ärztliche Behandlung eingenommen; sie kommen von 
weit her und füllen das Krankenhaus. Die Be- 
reitung und Anwendung der alten Zaubermittel 
wird nicht nur als nutzlos erkannt, sondern geradezu 
als Sünde angesehen. Die Künste des Zauberdoktors, 
elnst abergläubisch verehrt und gefürchtet, werden 
allmählich zum Gespött. · 
Auch die Sitte der Vielweiberei kommt in 
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Abnahme. Früher wurden die Frauen und Mädchen 
allgemein gekauft und verkauft; sie standen in einem 
menschenunwürdigen Sklavenverhältnis zum Manne. 
Von einem Famtlienleben war keine Rede, ihre soziale 
Lage ein unbeschreibliches Elend. Die Grundlagen 
dieser verkehrten Einrichtung werden jetzt erschüttert. 
Es wird Tag auch auf diesem dunkelen Gebiet. 
Die Vielweiberei wird von Obrigkeits wegen er- 
schwert. In Unterricht und Predigt wird den Leuten 
der Segen der Monogamie vorgehalten, und das 
häusliche Leben der Missionare wirkt wie ein An- 
schauungsunterricht. Wenn ein Mann kommt und 
Christ werden will, so wird ihm von Anfang an zu 
verstehen gegeben, daß ihm das nur als Mann einer 
einzigen Frau gelingt. 
In der christlichen Gemelnde wird kein Bigamist 
geduldet. Wem es zu schwer wird, auf die mit der 
Vielweiberei verbundene größere Bequemlichkeit zu 
verzichten, tritt eben nicht ein. Andere aber bringen 
das Opfer, das mit dem Christwerden verbunden 
ist. Erst letzten Sonntag kam ein Mann, der zwei 
Frauen hatte — er war etwa 30 Jahre alt — und 
sagte: „Mich verlangt nach den göttlichen Dingen." 
Er hat eins von den beiden Welbern aufgegeben, 
auch sonst manches überwunden und folgt demütig 
und freudig seinem neuen Herrn. Wir haben schon 
viele junge Männer, die sich seit Jahren zu Kirche 
und Schule halten und in diesem Punkte den Wandel 
ihrer Väter verließen; sie haben christliche Ehen ge- 
schlossen, und ihre Kinder wachsen in Liebe, Treue 
und Reinheit auf. Sie erfreuen sich der Vorzüge 
eines monogamischen Elternhauses. Man erkennt 
hier deutlich, wie das Christentum das Volksleben 
von altem Unrat reinigt. 
Auch die auf Erziehung der eingeboren Jugend 
hinzielenden Bemühungen der Mission haben Fort- 
schritte gemacht. In Elat, wo vor 10. Jahren die 
benachbarten Dörfer nur 30 Jungen zur Schule 
schickten, die auch noch Bezahlung für ihr Kommen 
verlangten, stellen sich jetzt täglich über 400 ein, und 
diese bezahlen bereitwillig etwas; manche von ihnen 
kommen mehrere Stunden weit. Hatten wir erst nur 
20 Kostschüler, so jetzt 150; und wir könnten viel 
mehr haben, wenn wir nicht im Platz u. dgl. beschränkt 
wären. Die günstige Situatlon erklärt sich dadurch, 
daß die Angehörigen verschiedener Stämme ohne 
Gefahr miteinander verkehren; auch empfiehlt sich 
die Schule von selbst durch die Fortschritte, welche 
ihre Zöglinge machen, namentlich auch im deutschen 
Sprachunterricht. Es gilt schon als Schande für 
einen Knaben, nicht lesen und schreiben zu können. 
Auf jeder der Stationen im Innern besteht auch 
eine Mädchenkostschule. Diese Institute haben 
die Aufgabe, die künftigen Frauen und Mütter 
heranzuzlehen. Da sie hier verhältnismäßig leicht 
vor den schädlichen Einflüssen ihrer früheren Um- 
gebung bewahrt werden, so darf man sich hinsichtlich 
der Zukunft des bisher so tief stehenden weiblichen 
Geschlechts gewiß guten Hoffnungen hingeben.
	        
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