Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVII. Jahrgang, 1906. (17)

— 489 — 
mittels einer Muschel abgekratzt und dann an die 
Sonne zum Trocknen gelegt. Dadurch werden die 
noch anhaftenden Rindentellchen spröde und lassen sich 
leicht entfernen, so daß sich der reine geschmeidige 
Bast zu Fäden auseinander zlehen läßt, die zu 
Schnüren gedreht werden. Zu diesem Zwecke werden 
zwei Stränglein Bast mit einer Hand auf dem 
Oberschenkel nahe anelnander gehalten, während die 
andere angefeuchtete Hand darüber hin und her 
streicht. Beim Hinstreichen drehen sich beide Stränge 
einzeln, und beim Herstreichen verdrehen sich beide 
zu einer festen Schnur. " 
Bei Aufführung von Tänzen tragen die Frauen 
einen langen Grasrock (a urucha), der bis unter 
die Kniee hinabreicht. Das Material derselben be- 
steht ebenfalls aus Baumbastfäden, welche nach ihrer 
Verarbeitung an einer Schnur aufgefädelt und ge- 
färbt werden. 
Das schwanzförmige Kleid der Bainingerweiber 
und der Südost-Baininger hat sehr. wahrscheinlich 
den Uferbewohnern die Vorstellung gegeben, die 
Bergbewohner wären mit Schwänzen versehen. So 
leicht man diese Vorstellung den Eingeborenen ver- 
zeihen kann, so unbegreiflich ist es, wenn Männer 
2 Powell diese Fabel wirklich als Ernst aufzufassen 
einen. 
XI. 
Religiöse Vorstellungen. 
Nicht selten wird dem Missionar die Frage ge- 
stellt, ob die Eingeborenen vor der 
dem Christentum eine Religion gehabt hätten. Eine 
direkte Beantwortung dieser Frage ist nicht leicht. 
Verstehen wir unter Religion den Inbegriff einer 
positiven Kenntnis von einem höheren Wesen und 
den Pflichten demselben gegenüber, so dürsen wir 
freilich die Eingebornen für religionslos erklären. 
Der Wilde, dessen Denkvermögen so wenig ausge- 
bildet ist und der sich niemals gern mit meta- 
physischen Dingen abgibt, hat zwar eine Ahnung 
von der Existenz eines mächtigen Wesens, aber keine 
Vorstellung, wie dasselbe die Welt nach seinem Gut- 
dünken lenkt und noch weniger von Pflichtleistungen, 
welche er demselben gegenüber hat. Das geheimnis- 
volle Eingreifen in das Schicksal des Menschen auf 
sein Wohl und Wehe, auf den Lauf der Dinge in 
der Natur ahnt er in vielen Fällen, es fehlen ihm 
aber nicht nur Worte, diese Einflüsse und Einwir- 
kungen auszudrücken, sondern auch die Fähigkeit, sich 
einen Begriff davon zu machen. Er denkt eben nicht. 
etrachten wir aber den allgemeinen im Volke 
herrschenden Glauben an Geister, den Glauben an 
die Fortdauer der Seele nach dem Tode, den Ver- 
kehr Abgestorbener mit den Lebenden, ferner die 
Ansumme von Aberglauben, welchem ein Stamm 
huldigt, so drängt sick eine andere Meinung auf. 
Diese Vorstellungen der Eingeborenen, ihre Geister- 
furcht wird uns freilich nicht der Ausdruck einer 
positiven Religion sein. Allein da diese Anschauun- 
gen und die dadurch begründete Furcht das Wollen 
Berührung mit 
  
und Handeln der Eingeborenen in gewissem Grade 
zu beeinflussen imstande sind, so können wir in diesem 
Sinne das Vorhandensein einer Art Religion bei 
den Wilden nicht ableugnen. - - 
Welches sind nun speziell die religiösen An- 
schauungen der Baininger? 
Der Baininger hat, gleich den Eingeborenen 
anderer Stämme, eine gewisse Schen, sich über die- 
selben auszusprechen. Er kommt rasch in Verwirrung 
und beginnt sofort ein anderes Thema, sobald man 
diesen Punkt berührt. Die Ursache davon ist die, 
daß er selbst das Unsichere seiner Ansichten und 
unsere Überlegenhelt zu sehr fühlt. Zuweilen jedoch 
sprechen sie sich unaufgefordert darüber aus, und 
das ist gewiß die beste Gelegenheit, ihre ganze 
Meinung zu erfahren. Die so gewonnenen Einzel- 
heiten sind aber trotzdem wenig zahlreich und recht 
unklar. Die spärlichen Volkssagen, die sich von 
einem Geschlecht auf das andere vererben, find nicht 
immer allen Gaugenossen bekannt. Eine der ver- 
breitetsten ist die solgende: Eines Tages rief die 
Sonne alle Wesen zusammen und fragte sie, wer 
ewig leben wolle. Die Wesen kamen alle, nur der 
Mensch blieb fern. Deswegen gehen die Schlange 
und der Stein nicht zugrunde, während der Mensch 
stirbt. Hätte der Mensch der Sonne gehorcht, so 
würde er sich auch von Zeit zu Zeit häuten, wie 
die Schlange und sich stets verjüngen und ewig leben. 
Der Geisterglaube ist allgemein verbreitet. 
Geister, a ios, d. h. Seelen von Abgeschiedenen, 
sind überall anzutreffen, im Walde, in den Gehöften, 
auf Pfaden, in Flüssen und Bodensenkungen. Fragt 
man nun, was er sich unter einem Geiste vorstelle, 
so gerät er in Verwirrung und vermag sich nicht 
auszudrücken. Ein Gelst ist nach der Meinung der 
Eingebornen etwas wie ein lebendiger Mensch, der 
uns sieht, uns selbst aber unsichtbar bleibt. Man 
wolle beachten, daß er das Wort „unsichtbar“ kennt 
(sasik). Ein plötzliches Geräusch im nahen Busch 
oder Grasfelde, oder sonst ein unerwarteter Vorfall, 
wenn er auch nur das Produkt seiner Einbildungs- 
krast ist, wird auf die Gegenwart eines ioska zurück- 
geführt. In der ersten Zeit meines Hierseins ist es 
oft vorgekommen, daß die Baininger Knaben, die in 
der Nähe meines Hauses sich eine Schlafstätte er- 
richtet hatten, plötzlich während der Nacht auf die 
Veranda meines Hauses flüchteten, angeblich, weil 
sich ein Geist zu ihnen gesellt, ihr Feuer angeblasen, 
sich zu ihnen gesetzt oder ihnen gar befohlen hätte, 
die Hütte zu räumen. 
Die Beschäftigung der abgeschiedenen Seelen be- 
steht in beständigem Umherschweifen und im Betrügen 
der Lebenden. Meistens erscheinen sie beim Dunkel- 
werden und rufen die Leute beim Namen. Sobald 
man sich aber ihnen nähert, erblickt man bloß einen 
Leuchtkäfer. Leuchtkäfer gelten deshalb überall als 
Träger von Seelen. Die Geister bewegen sich nach 
Belieben, essen und trinken nicht und leben doch. 
Auf die Frage, ob sie ewig leben, erhält man eine
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.