Über Tropenkrankbeitten.
Vortrag in der allgemeinen Sihung der 77. Versammlung
deutscher Naturforscher und F in Meran am 24. Sep-
tember 1905, gehalten von Dr. B. Nocht-Hamburg. Verlag
von Joh. Ambrosius Barth in Leipzig. 1905.
Nocht unterscheidet 1. die rein klimatischen
Krankheiten, wie Sonnenstich, Hitschlag, Schlaflosig=
keit und andere nervöse Beschwerden, funktionelle
Störungen der Herzaktion usw. 2. Die tropischen
Infektionskrankheiten. 3. Allgemelnerkrankungen, wie
z. B. die Beriberikrankheit, deren Entstehungsursachen
noch unaufgeklärt sind. Sie werden von den einen
auf unzweckmößige Ernährung, von den anderen auf
Infektion mit kleinsten Lebewesen, sel es durch die
Luft, sei es auf irgend elnem anderen Wege, zurück-
geführt. Sehr wichtig ist dle Bemerkung Nochts,
daß die rein klimatischen Krankheiten immer mehr
gegenüber den Insektlonskrankhelren in den Hinter-
grund treten. So wissen wir jetzt, daß die tropische
Anämie, die Blutlosigkelt der Europäer in den Tropen,
nicht durch klimatische Einflüsse schlechiweg emsteht,
sondern eine Folge von Parasiten ist, welche um Blute
hausen oder im Darmkanal schwere Störungen her-
vorrufen.
Der Vortrag gilt im besonderen den reinen
Infektionskrankheiten. Sie werden entweder von
kleinsten Lebewesen aus dem Pflanzenreich, den Bak-
terien, oder von kleinen tierischen Lebewesen, den
Protozoen, hervorgerusen. Nocht bezeichnet nun als
das Charakteristische der Krankheitsverhältmmisse der
wärmeren Länder das stärkere Hervortreten der
Protozoenkrankheten. Seit der Entdeckung der
Malariaprotozoen werden immer mehr troplsche
Krankheiten als Protozoenkrankheiten erkannt. Zu
dieser Erkenntnis hat ganz besonders dle Entdeckung
des englischen Oberstabsarztes Ronald Roß beige-
tragen, der nachwies, daß die Malariaparasiten außer
im Menschen in einer bestimmten Mäckenart leben
und durch den Stich dieser Mücken von Mensch
zur Mücke und von der Mücke zum Menschen über-
tragen werden. Man fand, daß es in den Tropen
noch mehr solcher Blutsauger gibt, welche Krankheits-
erreger bei sich beherbergen. Das tropische Klima
hat eben viel günstigere Lebensbedingungen für die
tlerischen Kleinlebewesen als das Klima kalter Länder.
Bei der Besprechung der Malaria hebt Nocht
besonders die Verdienste hervor, welche sich in jüngster
Zeit Schaudmn um die Erforschung dieser unserer
wichtigsten Krankheiten erworben hat. Schaudinn
ist nicht Medizlner, sondern Zoologe. Ihm ist es
gelungen, diejenigen Formen der Molarioparasiten
festzustellen, welche im Körper des Menschen lange
Zeit bei scheinbarem Wohlbefinden in den inneren
Tellen überdauern, während man im Blute keinen
Erreger mehr findet. .
ber das Schwarzwasser ist in letzter Zelt nichts
Neues bekannt geworden. -
Immer größere Bedeutung gewinmen diejenigen
Krankheiten, welche durch die sogenannten Trypano=
somen verursacht werden. Trypanosomen find spindel-
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krankheit.
förmige, schnellbewegliche Parasiten, welche einen
langen, geißelartigen Fortsatz an einem Ende führen.
Die erwachsenen Formen des Trypanosomen sind drei-
bis viermal so lang als der Durchmesser eincs roten
Blutkörperchens. Zu diesen Kranlheiten gehört die
Tsetsekrankheit der Rinder, Pferde usw. in Afrika,
welche in Indien als Surra auftritt, sodann die in
Europa vorkommende Beschälleuche der Pferde, ferner
eine in Südamerika herrschende Pferdekrankheit, Mab-
de Caderas genannt, endlich die sog. Galziekte,
Gallenseuche der südafrikanischen Rinder.
Auch beim Menschen sind berelts Tiypanosomen
gefunden worden.
Von dem größten Interesse sind die Beziehungen
der menschlichen Trypanosomeninfektion zu der Schlaf-
Fast bei allen Schlafkrankheiten findet
man in der Flüssigkeit der Wirbelsäulenhöhle Trypa-
nosomen. Es ist jedoch noch nicht mit Sicherheit
erwiesen, ob diese Parasiten die Symptome der
Schlafkrankheit hervorrusen oder ob sie nur anderen
kleinsten Lebewesen den Boden vorberelten. Die
letzteren, sogenannte Kokken, werden besonders von
portugiesischen Forschern als die eigentlichen Schlaf-
krankheitserreger angesehen. Nocht berichtet, daß ouch
bereits eine Anzahl Europäer an Schlafkrankheit
gestorben sind und daß im Seemannskrankenhause zu
Hamburg bereits ein Todesfall elnes Weißen an
Schlafkrankheit beobachtet worden ist. So ist diese
schreckliche Krankhelt nicht, wie man früher annahm,
eine ausschließliche Negerkrankheit.
Nocht bespricht dann eine in Indlen gefürchtete
Krankheit, welche lange mit der Malaria zusammen-
geworfen wurde, die Kala-Asar. Hier entdeckten die
englischen Arzte Leshmann und Donovam eigenartige
Gebilde, welche wahrscheinlich auch zu den Trypano-
somen gehören. -
Schaudinn hat ferner nachgewiesen, daß die große
Gruppe der sog. Spirochaeten zu den Protozoen
gerechnet werden muß. Die Erreger des Rückfall-
fsiebers sind Spirochaeten.
Nocht geht dann auf dos Gelbe Fieber ein, deren
Erreger durch Moskitos übertragen werden und nach
Schaudinn wahrschemlich Splrochaeten sind.
So zeigt Nocht, welche Fülle von Tropenkrank=
heiten bis jetzt bekannt ist und wie so manches Fieber,
was früher oft mit dem Namen Malaria abgetan
wurde, eine jetzt wohlcharaktertsierte eigenartige Para-
sitenkrankheit bedeutet. 4
Zum Schluß gibt Nocht eine interessante Ubersicht
über den jetzigen Stand der Frage, ob und in
welchem Maße der Mensch sich Immunität gegen
die tropischen Krankhelten und besonders gegen die
Malaria erwirbt, und über die bisherigen Heilungs-
versuche.
Der Vortrag ist so klar und bel oller Gründ-
lichkeit so einfach in der Ausdrucksweise, daß auch
jeder Nichtarzt, der sich für die Tropenkrankheiten
interessiert, mit vollem Verständnis und hohem Genuß
folben kann.