Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

waren-Marktes in den Vereinigten Staaten inter- 
essanter und eigenartiger als in vielen früheren 
Jahren. Die Preise aller Sorten von Baum- 
wollenwaren standen außergewöhnlich hoch, höher 
selbst als zu Zeiten der größten Spekulations= 
manöver im Rohbaumwollenhandel und höher 
als je seit dem Bürgerkriege. Die Spinnereien 
und Webereien erfreuten sich einer noch nicht da- 
gewesenen Gunst der Geschäftslage. Trot erhöhter 
Löhne und des außerordentlich hohen Baumwoll- 
preises zahlten sie hohe Dividenden, erzielen sie 
große Überschüsse und werden ihre Aktien zu sehr 
hohen Kursen verkauft. Alle Fabriken haben ihre 
Produktion für so lange Zeit im voraus vergeben, 
daß sie Preise und Lieferungsfristen unabhängig 
vom Käufer bestimmen können; sofort lieferbare 
Warec ist fast zu keinem Preise erhältlich. 
Die Unruhe und Ungewißheit in Finanzkreisen, 
die Lage des Geldmarktes und kleinere Arbeiter- 
nuruhen erzeugten indessen eine unbestimmte, aber 
doch zunehmende Neigung zur Zurückhaltung in 
Kreisen der Fabrikanten sowohl als der Groß- 
und Zwischenhändler. Die hierauf beruhende Ab- 
neigung gegen den Einkauf größerer Mengen, 
als man gerade dringend benötigt oder schnell 
abzusetzen gedenkt, trägt weiter zur Verwicklung 
der allgemeinen Geschäftslage für Baumwollen= 
waren bei. 
Berschiedentlich wurde es augenscheinlich und 
auch offen festgestellt, daß die Großzwischenhändler 
in letzter Zeit mit den Produzenten in der Steige- 
rung der Preise nicht Schritt hielten, sondern den 
Kleinhändlern ihren Gewinn aus den großen Ein- 
käufen während der verschiedenen Perioden der 
Preissteigerung zum Teil hatten zugute kommen 
lassen; und diese Preispolitik ist bereits bis zu 
einem gefährlichen Punkte gediehen. Die Fa- 
briken sind nunmehr mit den Lieferungen ohne 
Aussicht auf baldige Erleichterung der Arbeitslast 
im Rückstande, und die Zwischenhändler bekommen 
die Waren nur mit großen Verzögerungen, wes- 
halb letztere fürchten, im Falle neuer wesentlicher 
Preissteigerungen der Fabriken, ihre Preissätze 
auf einmal derartig erhöhen zu müssen, daß die 
Absatzmöglichkeit der Waren eine ernstliche Be- 
schränkung erfährt. Viele Warensorten werden 
jetzt nur at value, das heißt zu dem am 
ieferungstage geltenden Tagespreise verkauft. 
Daß früher oder später Preiserhöhungen eintreten 
müßten, erschien sicher, aber noch waren die Fa- 
brikanten mit ihrem Verdienst zufrieden, und sie 
waren nicht geneigt, den Verkauf ihrer Waren zu 
beschleunigen, sondern sie wollten gern warten, 
bis sie genau übersehen könnten, welchen Preis 
sie für die Baumwolle der neuen Ernte anlegen 
müßten. Die bisherigen Anzeichen ließen darauf 
rechnen, daß bei der diesjährigen Ernte die 
  
  
Baumwolle kurzstapeliger ausfallen würde als seit 
verschiedenen Jahren, und deshalb wurden für 
gut zum Verspinnen geeignete Ware die Preise 
auf 13,25 Cents für das Pfund middling upland 
in New Vork hochgehalten. 
Die Ungewißheit über den künftigen Baum- 
wollpreis und die für lange Zeit im voraus ge- 
sicherte Beschäftigung der Fabriken hatte die 
bemerkenswerte Erscheinung zur Folge, daß ver- 
schiedene Fabrikanten sich weigerten, weitere Be- 
stellungen vorläufig anzunehmen. Die Webereien 
haben zum Teil mit Rücksicht auf die im Laufe 
des Jahres eingetretenen erheblichen Akkordlohn= 
erhöhungen die pro-Kopf-Produktion ihrer Anlagen 
herabgesetzt, was die Schwierigkeit der zeitigen 
Erfüllung vorliegender Aufträge noch erhöht und 
ein Grund mehr ist, weitere Bestellungen vor- 
läufig zurückzuweisen. 
Gebleichte Baumwollenzeuge spielten bei der 
Versteifung des Marktes eine wichtige Rolle; 
weitere Preisaufschläge hierfür wurden in der 
zweiten Augusthälfte zu verschiedenen Malen an- 
gekündigt und wieder verschoben; man erwartete 
aber, daß für diese Ware die erste neue Preis- 
erhöhung eintreten würde. Die Vorräte sind sehr 
klein, die Webereien haben für lange Zeit im 
voraus verkauft, und Lieferungen sind selbst auf 
Grund alter Abschlüsse schwer zu erhalten. Die 
Händler zeigten wenig Neigung, neue Käufe bei 
den hohen Preisen, die seit 1. August um ¼ bis 
½ Cent für 1 ard hinaufgingen, abzuschließen. 
— Der Preis für Zeuge zum Bedrucken war mit 
5¼ Cents für Normalware sehr fest, und er war 
nur nominell, da Ware nicht zur Verfügung stand 
und höchstens in ganz kleinen Posten von zweiter 
Hand zu kanfen war. Einige Verkäufe für die 
Zeit nach dem 1. Januar 1908 kamen vor; für 
den Rest des laufenden Jahres hatten die We- 
bereien ihr Produkt völlig verkauft. Die Fabriken 
im Osten weigerten sich überhaupt, Bestellungen, 
auch mit Lieferfrist im nächsten Jahr, anzu- 
nehmen. 
Die Marktlage für bedruckte Kattune war 
äußerst fest und wurde weiter verstärkt durch die 
Arbeitseinstellung verschiedener der bedentendsten 
Druckereien wegen des Mangels an Rohzeugen. 
Alle Rabatte wurden abgeschafft und ein weiterer 
Preisaufschlag wurde bald erwartet. Kein Drucker 
drängte sich nach Verkäufen, da alle mit ihren 
Lieferungen im Rückstand und mit Aufträgen für 
lange Zeit versorgt waren. 
Die Gingham-Webereien waren noch nicht 
imstande, die von den Zwischenhändlern bei der 
letzten Geschäftshochflut gekauften Mengen zu 
liefern und hielten sich infolgedessen von neuen 
Geschäftsabschlüssen zurück; anscheinend warten sie 
auf ein weiteres Vorgehen der tonangebenden
	        
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