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hängig von der sozialen Stufe, auf welcher sich der
Beurteilende befindet. Das Erfreuliche an den
Kolonien ist gerade, daß sie ein verhältnismäßig
freies Feld geben für die uneingeschränkte Betäti-
gung eines zivilisierten Volks, wie des deutschen,
nach der Richtung der libertragung der ethischen
Ideale, der kulturellen Fortschritte, seiner vorge-
schrittenen wirtschaftlichen Entwicklung.
Wie es alle kolonisierenden Nationen erfahren
haben, ist zwar die kolonisatorische Aufgabe eine
schöne, aber auch eine ungemein schwierige und mit
erheblichen Ausgaben verbundene. Die Nation,
welche hierfür die Erkenntnis oder die Voraus-
setzungen nicht hat, wird nicht erfolgreich koloni-
sieren können, und es ist ein Prüfstein auf das
Selbstbewußtsein einer Nation, auf ihr ideales
Streben und ihre materiellen Mittel, wie sie sich
einer solchen Aufgabe gegenüberstellt. Für uns
Deutsche ist die Periode, in der wir leben, dieser
Prüfstein, wo die materiellen Erfolge noch kleiner
sind, als man sie nach den aufgewandten Mitteln,
und zwar unverständigerweise, verlangte, da Un-
glücksfälle, wie drei Aufstände in drei Jahren, große
Anforderungen an die Opferfreudigkeit der deut-
schen Nation gestellt haben, und es steht jetzt zur
Frage: Fühlt sich die Nation innerlich kräftig und
stolz genug, eine einmal begonnene Kulturaufgabe
nicht aufzugeben, fühlt sie sich reich genug, weitere
Ansgaben zu machen, die nicht unmittelbar ren-
liercn, oder will sie sich in Kleinmut, unter aller-
hand Angstlichkeiten und gedeckt durch den Dampf,
den die Kanoniere der Kolonialskandale erzeugen,
zurückziehen? Daß es Politiker gibt, welche die
Kolonten aufgeben wollen, unterliegt heute keinem
Zweifel. Daß andere sehr scheu geworden sind, steht
leider sest, daß eine gewisse Müdigkeit eingetreten
ist, ist nicht zu bezweifeln. Demgegenüber gilt es
jetzt festzustellen, ob die deutsche Nation noch glaubt,
eine größere Mission erfüllen zu können, die ge-
wisse Anforderungen an sie in allen ihren Teilen
stellt, oder ob sie materialistisch beguem und ge-
danlenträge ausgetretene und unrühmliche Pfade
wandeln will. Daß diese Pfade, gegenüber einer
ganzen Anzahl zielbewußter Nationen, die ihre
eigenen Hilfsquellen immer mehr und mehr zu einer
geschlossenen Wirtschaft ausbilden, auch materiell
unser Volk in einen Sumpf führen werden, ist klar.
Nicht mit Unrecht hat man dem deutschen Volk
die Bezeichnung des Volks der Denker und der Dich-
ter beigelegt, und so hart auch der geistige Wett-
kampf der Nationen gewesen ist, so hat doch Deutsch-
land seine Position, in Hinsicht auf die Geistes-
wissenschaften an der Spitze der Kulturnationen zu
marschieren, stets zu verteidigen gewußt. Neben
diesen älteren Eichenkranz hat das letzte Jahr-
hundert einen zweiten gehängt, das Jahr-
hundert, in dem Deutschland an die Spitze der Na-
tionen in bezug auf die angewandte Wissenschaft,
auf die Technik getreten ist. Diese Mittel
aber sind die modernen Mittel der
Erschließungfremder Weltteile, der
Hebung niedriger Kulturen, der
Verbesserung der Lebenslage für
Schwarze und Weiße, und es ergeht an das
deutsche Volk die Frage: Will es hinsichtlich seines
Kolonialbesitzes verzichten auf die Stellung, die es
sich im heißen, ernsten und edlen Wettstreit erworben
hat, die erste zu sein in bezug auf die Geisteswissen-
schaften, die erste in bezug auf die angewandte Tech-
nik. Das ist die große Frage der Stunde, und ich
bin sicher, wenn sie klar und deutlich der Nation
vor Augen geführt wird, wird die Antwort ein
energisches Nein sein.
Wenn ein Mißmut über die großen Opfer ent-
standen ist, so liegt das zum großen Teil daran, daß
es in die breiten Schichten unseres Volkes bisher
noch nicht gedrungen ist, was denn eigentlich Koloni-
sation heißt, weil diese Probleme den Binnendent-
schen doch sehr fern liegen. Ich halte es auch nicht
für unnützlich, hier ganz kurz darüber zu sprechen.
Kolonisation, ganz gleichgültig, ob es sich um Plan-
tagenkolonien oder um Ansiedelungskolonien han-
delt, heißt die Nutzbarmachung des
Bodens, seiner Schätze, der Flora,
der Fauna und vor allem der Men-
schen zugunsten der Wirtschaft der
kolonisierenden Nation, und diese ist
dafür zu der Gegengabe ihrer höhe-
ren Kultur, ihrer sittlichen Be-
griffe, ihrer besseren Methoden ver-
pflichtet.
Angewandt meint dieser Satz aber, daß das
ganze Bild eines solchen in Kolonisation genom-
menen Landes sich von Grund aus ändert. Es
ändert sich zunächst und von dem Gesichtspunkte des
Naturhistorikers auch leider die ganze Faung. Es
verschwinden die wilden und gefährlichen Tiere: in
den meisten Fällen setzt der Europäer Prämien auf
deren Erlegung. Es verschwinden die nicht zähm-
baren Nutztiere, die ihres Elfenbeins, ihres Felles
uUsw. wegen erlegt werden, und es treten an ihre
Stelle andere Nutztiere, die importiert werden. Mit
dem Verschwinden dieser Tiere und der Anzucht an-
derer ändert sich aber natürlich auch ein Teil der
Beschäftigung des Eingeborenen. Ebenso ändert
sich die Flora, teils wird sie vom Eingeborenen
raubbaumäßig ausgebeutet, weil hohe Preise für
die Produkte gezahlt werden, z. B. für Gummi, teils
sällt sie der wirtschaftlichen Kultur mit besseren
Methoden zum Opfer. Der Urwald wird teils aus-
gerodet, teils forstmäßig verwaltet, die Dschungeln
werden durch Bahnen und Straßen durchbrochen.
Aus Gründen der Schiffahrt und der Hygiene wer-
den Wasserläufe korrigiert. Alles dies ändert natur-