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Damals war die weite Grassavanne ein Dorado
für den Jäger gewesen. Hier an der Sanaga-
fähre hatten mich 1894 zum erstenmal Ngillas
Boten begrüßt, um den fremden Freund zu
ihrem Herrn zu führen. Hier war ich 1895
stromauf gezogen, um Mango am oberen Sanaga
anzugreifen; das Rauschen der Fälle hatte mich
im folgenden Jahre in den Schlaf gewiegt, der
mich nicht loslassen wollte, nachdem ein ver-
gifteter Wutepfeil mich getroffen. Und wieder,
immer wieder, bis zum Jahre 1897, war ich
mit wenig Mann als Freund zu Ngilla und
Rgutte hinübergefahren. Bei Tungele durfte ich
mich des ersten Sieges über Ngilla freuen, und
auf den Inseln unterhalb der Schnellen im Fluß
verlor ich bis zum Jahre 1899 manchen frischen
Weysoldaten im Kampfe gegen die Abanda-
Batschengas, die sich nie unterwerfen wollten
und immer wieder auf ihren Flußburgen Schutz
suchten. Reiche Erinnerungen waren es, die mir
beim Rauschen der Fälle am Wachtfeuer durch
den Kopf gingen. Viel Glück hatte ich gehabt
und viel Ursache, der Vorsehung gerade an dieser
Stelle zu danken.
Am Wege nach Ngillastadt, an dem weite
Grasstrecken mit dichten Urwaldkomplexen ab-
wechseln, hatten sich unter dem Schutz des
Friedens, der nach Ngillas Unterwerfung herrschte,
überall die Batis in kleinen Dörfern angesiedelt.
Männer und Weiber arbeiteten auf den Feldern.
Die meisten der alten Bekannten, die mich hier
begrüßten, hatten seinerzeit vor Ngilla über den
Sanaga zurückweichen müssen. Am 17. Dezember
empfing mich Bülow auf der Höhe, eine Stunde
vor Ngillastadt. Von hier aus hatte im Jahre
1899 Major v. Kamptz den Angriff auf die
seste Stadt angesetzt. Auch jetzt noch waren
Wall und Graben zu sehen, aber die Böschungen
waren eingestürzt, Gras wucherte überall, und
von einem Hindernis konnte keine Rede mehr sein.
Ngane, der von uns eingesetzte Ngillahäupt-
ling, empfing uns hoch zu Roß, umgeben von
seinen Großen, Paukenschlägern und Bläsern, die
einen ohrenzerreißenden Lärm hervorbrachten. Er
führte uns auf den alten Marktplatz, wo noch
immer Ngillas alte Häuser standen, in denen
Ngane jetzt wohnte. Die Wutes waren nie be-
sonders zahlreich. Auf den weiten Steppen, die
durch die Linte= und Jokoberge im Norden, durch
den Mbam im Westen und den Sanaga oder
Dierem im Süden und Osten gebildet werden,
sitzen sie in drei über das Land verteilten Sipp-
schaften mit den festen Städten Ngilla, Ngutte,
Wenke und Mango zusammen. Erst um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts haben sie, von
den Fullahs gedrängt, die damals Tibati grün-
deten, diese Jagdgründe mit den Waffen in der
Hand erobert, und sie haben dann in einer losen
Abhängigkeit von Tibati gestanden, dem die nörd-
lich des Gebirges in ihren alten Wohnsitzen ge-
bliebenen Wutes unmittelbar untertan geworden
waren. Daß Tibati einen dauernden Einfluß auf
die starken Wutes behielt, hat seinen Grund darin,
daß letztere in den Haussahhändlern Abnehmer für
ihre Sklaven fanden, diese Haussahs wieder aber
nur mit der Erlaubnis Tibatis zu den Wutes
gelangen konnten.
Wer einmal in seinem Leben zu Ngilla oder
Ngutte geht, hieß es auf dem großen zentral-
afrikanischen Markt in Kano, wird entweder auf-
gefressen oder hat, wenn er heimkehrt, für sein
Leben genug verdient. Und nach den blühenden
Haussahsiedlungen zu schließen, die sich, solange die
Schreckensherrschaft der Wutes dauerte, im An-
schluß an deren Hauptstädte gebildet hatten, er-
mangelte dieser innerafrikanische Börsenwitz nicht
der Wahrheit. Die Haussahs führten Pferde und
Esel zu den Wutes, verkauften ihre gut gewebten
Stoffe, ließen sich als Schmiede, Sattler und Arzte
nieder, jagten mit ihren Giftpfeilen für die Wutes
Elefanten und zogen dann immer wieder mit
großen Sklavenkarawanen, die Elfenbein schleppten,
auf die Haussahmärkte zurück. Allerdings konnte
es sich auch ereignen, daß Ngilla, ergrimmt über
einen Mißerfolg, wenn sie ihm, wie er meinte,
eine schlechte Medizin gegeben hatten, Hunderten
den Kopf abschlagen ließ und seinen Leuten das
Fleisch der Ermordeten zu einem Festmahl zu-
richtete. Aber die Haussahs lieben so gewagte
Geschäfte; sie spekulieren gern mit höchstem Einsatz.
Sämtliche Wutes, wie auch die Batis sind
Kannibalen, wenn sie es in dieser grausamen Ge-
wohnheit auch nicht so weit gebracht haben wie
die Makas im oberen Nijonggebiet. Letztere
machen plaumäßig Menschen fen, um sie zu
schlachten, und verkaufen ihre Eltern, wenn diese
alt und arbeitsunfähig geworden sind, an Stammes-
genossen wie überständige Rinder, während die
Wutes sich im allgemeinen auf den Genuß des
Fleisches ihrer erschlagenen Feinde beschränken,
dem sie eine gewisse Kraft zuschreiben, den Mut
und die Unerschrockenheit des Siegers zu heben.
Auch jetzt noch hielt Ngane, mit dem wir abends
beim Durrahbier zusammensaßen, auf alte Wute-
sitte. Nur in gebückter Haltung mit zu Boden
geschlagenen Augen durften sich seine Leute ihm
nähern, und zwei Mädchen knieten vor ihm, um
ihm die Bierschalen zu reichen. Noch tanzten die
Wutemänner, nur mit einem Rindenschurz be-
kleidet, mit den Waffen in der Hand unter sich.
Die Haare hatten sie kunstvoll geflochten, oft eine
nickende Krone roter Papageienfedern auf dem
Kopf, das lange Schwert über der Schulter, den
mannshohen Büffelschild mit wallenden schwarzen