Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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Die wirtschaftliche Grundlage der siolonialbewegung. 
(Mitteilungen der Deutschen Kolonialgesellschaft.) 
Solange eine deutsche Kolonialbewegung und auf dieser 
Grundlage eine deutsche Kolonialpolitik besteht, ist sie zum 
Spielball der politischen Parteien in der deutschen Volks- 
vertretung gemacht worden. Unter völliger Verkennung 
oder sichtlicher Oanwegleugnung der wirtschaftlichen Unter- 
age sind immer nur die Lebensäußerungen der kolonialen 
Belätigung in den pFreis einer meistens unsachlichen, von 
vorgefaßter Meinung getragenen Vehandlung gezogen 
worden. 
Die Mehrzahl der deutschen Bevölkerung hat sich den 
wirtschaftlichen Ausgangspunkt der Kolonial= 
bewegung erst ganz allmählich, aber auch jetzt noch in 
ungenügender Weise zu eigen zu machen vermocht. Erst 
als im Anfang der neunziger Jahre die Deutsche Kolo- 
nialgesellschaft es als ihre Aufgabe ansah, als Haupt- 
lhema ihren wichtigsten Vorträgen die wirtschaftliche Be- 
deutung der deutschen Kolonialbewegung zugrunde zu 
legen, als ferner bei Gelegenheit der Flottenvorlagen die 
unantastbaren zissernmäßigen Aufstellungen der im deut- 
schen Ubersceverkehr zutage tretenden Erfolge einige, aber 
leider viel zu geringe Verbreitung fanden, beginnt all- 
mählich eine bessere Erkenntnis hier und da Platz zu 
greifen. 
Der einschneidende Fehler, der sowohl im deutschen 
Reichstage wie in der SÖffentlichkeit mit Rücksicht auf die 
deutschen Kolonialinteressen gemacht worden ist und noch 
gemacht wird, ist die grundsätzliche Verschiebung des Be- 
griffes der Kolonialpolitik und ihrer Ursachen. 
Stets ist die Kolonialpolitik als eine Unternehmung 
der Regierung, ausgegangen von der Abenteuersucht oder 
der Interessenpolitik einzeln r Kreise, hingestellt worden. 
In Wirklichkeit hat die Regierung, und dieser Vorwurf 
kann ihr nicht erspart bleiben, bis zum gegenwärtigen 
Augenblicke eine aktive Kolonialpolitik nur in verschwin- 
dendem Maße betrieben. Nur die notwendigste Unter- 
nützung ist den von privater Seite geschaffenen Unter- 
nehmungen zuteil geworden, nur die unabweisbaren 
onsequenzen sind aus den Ereignissen gezogen worden, 
die in den Schutzgebieten sich abgespielt haben. 
Der Wille zur Kolonialpolitik hat bisher, das kann 
unter keinen Umständen geleugnet werden, bei der Re- 
gierung gefehlt. Er setzt, wie es scheint, erst jetzt ein, 
nachdem viele Jahre kostbarer Zeit verloren ge- 
gangen und die Begrisfe über das Wesen und die 
Grundlagen der Kolonialbewegung heillos verwirrt 
worden sind. 
Und doch ist die Kolonialbewegung und die Kolonial- 
politik nichts anderes als eine aus der dringendsten Not- 
wendigteit heraus geborene, auf der wirtschaftspolitischen 
Entwicklung Deutschlands ruhende Phase im deutschen 
Lolksleben. Der Beweis dafür liegt für jeden auf der 
Dand, der sich mit der Geschichte der letten Jahrzehnte 
beschäftigt hat und zwar nicht mit der deutschen Geschichte 
aliein, sondern mit der der Entwicklung aller Kultur- 
Ullter. So einfach sind die Tatsachen, so schlagend ihre 
#weiskraft, daß es beschämend ist, wenn in der Gegen- 
U art überhaupt noch ihre Zusammenstellung erfolgen 
muß, um die Notwendigkeit kolonialer Betätigung zu be- 
G. Die wirtschaftliche Entwicklung aller Kulturvölker der 
denenwart ist denselben Weg gegangen; die Wurzel, aus 
ee#n sie entspringt, ist die Maschinentechnik, der Ersatz der 
Kularbeit durch Massenfabrikation, der Ubergang der 
Nonurstaaten zur Industrie und die daraus sich ergebende 
zu wendigkeit, den Austausch der Produkte zu erweitern, 
n steigern und den Bezug der Nohstoffe für die Industrie 
zu erleichtern. 
  
Deutschland hat hierin den weitesten Weg am schnell- 
sien zurückgelegt. Noch vor 25 Jahren betrug der 
deutsche Handelsumsatz 6 Milliarden im Jahre und stieg 
im Jahre 189.4 bis auf etwas über 7 Milliarden; gegen- 
wärtig beträgt er 13 Milliarden Mark. - 
Von diesem Handelsumsatz bewegt sich nur ein Drittel 
auf dem Landwege, zwei Drittel auf dem Seewege. Der 
Güteraustausch auf dem Landwege sinkt, der Güteraus- 
tausch auf dem Seewege steigt. 
Hand in Hand mit dieser rein handelspolitischen Ent- 
wicklung ist der Ausbau der Schiffahrt gegangen; zum 
Teil ist er ihr sogar vorausgeeilt. Deutschland besitzt die 
zweitgrößte Handelsflotte der Welt; die beiden größten 
Needereien der Erde sind deutsche Reedereien. Die 
Transportfähigkeit der deutschen Flotte hat sich in einer 
ganz außerordentlich kurzen Zeit auf über 6 Millionen 
Tonnen gesteigert. 
Mit dem Anwachsen der Schiffahrt Hand in Hand ist 
die wahrhaft wunderbare Ausgestaltung aller der mit dem 
Schiffbau in Zusammenhang stehenden Betriebe gegangen. 
Erst vor zwei Jahrzehnten setzte diese Entwicklung ein, 
denn vorher hat der deutsche Schiffbau größere Aufträge 
lediglich von der Kriegsmarine, von der Handelsmarine 
aber nur kleine Aufträge erhalten. Gegenwärtig ver- 
schwinden die im Auslande gebauten Schiffe immer mehr 
und sind ersetzt durch Schiffe aus deutschem Material, 
auf deutschen Werften erbaut und bis zum letzten Nagel 
in Deutschland ausgerüstet. Daß es sich hier nicht um 
Kleinigkeiten handelt, beweist der Umstand, daß von seiten 
einer einzigen Rcederei, dem Lloyd in Bremen, innerhalb 
der letzten 15 Jahre 238 Millionen Mark an deutsche 
Schiffswerften für Neubauten verausgabt worden sind. 
Eine solche Ausgestaltung des Uberseeve kehrs kann 
niemals durch Regierungsmaßregeln geschaffen oder auch 
nur so gefördert werden, daß sie das jetzt vorliegende 
Resultat zeigt; sie kann nur entstehen als Produkt der 
logischen Entwicklung innerhalb des Volkes selbst. 
Ergänzt wird der deutsche Uberseeverkehr durch die 
fortwährend in der Steigerung begriffene Ansiedlung 
deutscher Kaufleute im übersceischen Auslande. Erreicht 
wird dadurch die Unabhängigmachung der deutschen 
Handelsbewegung von dem Zwischenhandel, der noch vor 
wenigen Jahrzehnten den deutschen Arbeiter zum Arbeiter 
für fremde Nationen — eben die, welche den Zwischen- 
handel besorgten — herabdrückte und dessen Eindämmung 
jezt die Millionen und aber Millionen des Ge- 
winnes am Uberseeverkehr der deutschen Ar- 
beiterschaft mit zugute kommen läßt. 
Daß das deutsche Nationalvermögen auf der Grund= 
lage des Uberseeverkehrs sich ungeheuer gesteigert hat, 
wird erwiesen durch die riesenhaften Kapitalsanlagen im 
Auslande. Sie beziffern sich unter Abrechnung der in 
überseeischen Anleihen oder Staatspapieren irgendwelcher 
Art angelegten Werte allein auf mehr als 3½ Milliarden 
Mark, unter Einrechnung der in solchen Werten angelegten 
Summen auf mehr als 8 Milliarden Mark. 
Von seiten klolonialer Gegner ist gerade diese Ent- 
wicklung als leuchtendes Beispiel dafür hingestellt worden, 
daß Deutschland einer eigenen Kolonialpolitik ja 
nicht bedürfe, weil es diesen großartigen Weg zum 
Wohlstand zunächst ohne Kolonien zurückgelegt hätte. 
Diese Argumentation wäre an sich nicht zu verwerfen, 
wenn nicht, wie die Geschichte beweist, mit der Ent- 
wicklung des gesamten Weltverkehrs bei allen Kultur- 
völkern gleichzeitig sich die Notwendigkeit herausgestellt 
hätte, nach Möglichkeit Absatz= und Produktions= 
gebiete sich zu schaffen, in denen jede Nation 
selbst Herr ist, und die ihr bis zu einem gewissen 
Grade unter allen Umständen eine Reserve zu bieten ver- 
mögen. Wärc eine Weiterentwicklung des Uberseeverkehrs
	        
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