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Vorderindien zu richten und zu untersuchen, ob
und wie weit sich die dort bestehenden Einrichtungen
als vorbildlich für unsere Kolonie verwenden
lassen, wie weit man hoffen kann, hier mit einer
allerdings völlig anders gearteten Be-
völkerung ähnliche Erfolge zu erzielen.
In Ostafrika war bisher eine derartige Aus-
gestaltung des landwirtschaftlichen Versuchswesens
kaum erforderlich, da die Küstenländer nach
Art ihrer Bevölkerung weniger Aussichten für
landwirtschaftliche Massenproduktion eröffnen und
da die Rentabilitätszone für die billigen Pro-
dukte der Eingeborenen im Küstengebiet außer-
ordentlich schmal ist, vor allem aber, weil bisher
die Inlandbahnen zur Erschließung bedeutender
Produktionsgebiete mit einer in landwirtschaftlicher
Hinsicht höher veranlagten Bevölkerung fehlten.
Nachdem aber nunmehr die Verlängerung
der Mrogorobahn bis in die fruchtbaren
und reichen Landschaften am Ostabhange des
Ussagaragebirges beschlossen ist und begründete
Hoffnung besteht, daß endlich auch die so lang
ersehnte Südbahn zur Tat wird, treten neue An-
forderungen an die Verwaltung heran. In
den Küstenbezirken Ostafrikas hat seit Jahr und
Tag das Institut der Wirtschaftsinspektoren
segensreich gewirkt, und es ist kaum zu zweifeln,
daß man mit zunehmender Erschließung des
Landes gleichartige Inspektionen auch in den
Julandbezirken schaffen wird. Hiermit allein ist
es aber im Innern nicht getan; in aussichts-
vollen Produktionsgebieten muß auch je-
weils eine landwirschaftliche Kulturstelle
als Basis für die Schulung und Unter-
weisung der Eingeborenen geschaffen
werden. Die Inspizierung in den Ortschaften
durch besondere Organe verbleibt als notwen-
diges Korrelat.
Wer jemals die reichen, unübersehbaren Ge-
treidefluren in der Landschaft Kondoa (bei Kilossa)
gesehen oder die — für innerafrikanische Verhält-
nisse — hochentwickelte Landwirtschaft Ungonis
kennen gelernt und endlich die Berichte geradezu
klassischer Zeugen, wie P. Reichardt und O. Bau-
mann über die landwirtschaftliche Begabung der
Wanyamwesi gelesen hat, wird mir ohne weiteres
zugeben, daß die Bevölkerung dieser Länder als
absolut reif für eine moderne Vervollkomm-
nung ihrer Kulturen gelten kann, und daß es
keine Utopie ist, wenn man sich aus der Förderung
der Landwirtschaft in derartigen Distrikten blei-
bende Erfolge und hohen wirtschaftlichen Gewinn
für die Kolonie verspricht.
Als konkretes Beispiel für die Behandlung
dieser programmatisch wichtigen Frage habe ich zu-
nächst die Kultur der Sorghumhirse gewählt,
einmal, um die nachstehenden Betrachtungen nicht
ins Ungemessene anwachsen zu lassen, ferner
aber, weil dieses Getreide die wichtigste Feldfrucht
Ostafrikas — wie des ganzen tropischen Afrikas
— und nächst dem Reis auch die wichtigste in
Ostindien") repräsentiert und endlich, weil die
jetzt noch so bescheidene Ausfuhr des Korns aus
Ostafrika hebungsfähig und hebungsbedürftig ist.
Die Nutzanwendung auf die übrigen Zweige der
Eingeborenen-Kulturen in Ostafrika ergibt sich von
selbst, wenn man berücksichtigt, daß einer der
wichtigsten Faktoren, nämlich eine rationelle
Fruchtfolge, auch die meisten sonstigen Feld-
früchte der Eingeborenen mit dem Getreideban
zu geregeltem Turnus vereinigt. Vielleicht bietet
sich später Gelegenheit, einige wichtigere Fragen
der Landwirtschaft in Ostafrika von allgemeineren
Gesichtspunkten aus zu betrachten.
Die nachstehenden Mitteilungen beziehen sich
vorwiegend auf die Präsidentschaft Madras, da
mir für dieses Gebiet aus der ersten der genann-
ten Abhandlungen besonders reichhaltiges und
detailliertes Material zu Gebote steht.
Um Irrtümern vorzubengen, bemerke ich noch,
daß ich keineswegs jede der in Indien gebräuch-
lichen, teilweise höchst primitiven Kulturmethoden
für nachahmenswert oder als in Ostafrika durch-
führbar ansehe, sondern lediglich bezwecke, durch
ein vergleichendes Referat die Aufmerksamkeit der
verantwortlichen Stellen auf eine meiner über-
zeugung nach überaus wichtige Materie zu
lenken.
Soweit die landwirtschaftliche Statistik Britisch-
Indiens reicht, ist festgestellt worden, daß jährlich
— einschließlich Burmas und der Eingeborenen-
Staaten — 22 bis 25 Millionen Acres mit Sor-
ghum bestellt werden.““) Diese Feldfrucht nimmt
*) In neuester Zeit sind zwei eingehende und zu-
verlässige monographische Abhandlungen über di
Hirsekultur Indiens erschienen: C. Benson and
C. K. Subba Rno, The Grent Millet or Sonchum in
AMladras. Department of Agriculturc, Aladras. Vol. III.
-Bull. Tr. 55 (#lackrus 1900) und Sir (corge Watt,
Sorghum vulgure Pes. The (ircat Millet or Juar
in Indinn. Agricultuml Ledger 1905 Nr. 6 (Caleutta
000).
"“) An erster Stelle steht die Präsidentschaft Bom-
bay mit 7 bis 8 Millionen Acres, dann solgen Madras
(und Mysore) mit 4 bis 5 Millionen, Berar mit 2½
bis 3 Millionen, die vereinigten Provinzgen Agra und
OQOudh mit eiwa 21: Millionen, die Zentralprovin-
zen und Punjab mit je 2 Millionen, Ober-Burma
mit etwa 1 Mill. Acres (1 Acre 40,5 Ar). In Nieder-
Burma, Bengalen und großen Teilen von Madras als
Reis produzierenden Ländern triti die Sorghumhirse in
den Hintergrund. In der Präsidentschaft Bombay (einschl.
Sind) nehmen Getreide überhaupt 70 bis 75 v. H. des
gesamten, unter Kultur befindlichen Arcals ein und
27 bis 29 v. H. davon fallen allein auf Sorghum.