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nahmen alle an Bord befindlichen Ankerketten
an Deck und steckten nach Bedarf und Zunahme
vom Wind entsprechend Kette. Vom Land haben
wir dann nichts mehr gesehen, obgleich Vollmond
war. Eine Bö ersetzte die andere.
Es muß gegen ½9 Uhr gewesen sein, als
wir an zu treiben fingen; eben vordem, etwa
8 Uhr, wurden durch eine Sturzsce sämtliche
Boote, das in galvanisierten Tanks befindliche
Gasolin und alle Decktreppen, das Hühnerhaus
und die Tischlerbank von Deck gespült. Wie und
welchen Weg wir aus der Lagune genommen
haben, kann keiner angeben, das Schiff ging
schrecklich zu kehr; kein Mensch konnte sich auf
den Beinen halten. Wir saßen mit Korkjacken
bekleidet in der Kajüte und erwarteten das
Schlimmste. An Deck stürzten von beiden Seiten
die schweren Sturzseen nieder; jeder würde ohne
weiteres über Bord geworfen worden sein. Um
uns herum trieben Bäume, Kokosnüsse und
Pflanzen aller Art und wurden zum Teil aufs
Schiff geworfen. Von 10 Uhr morgens an (den
29.) begann das Barometer zu steigen; der
Taifun tobte jedoch weiter. Die Segel wurden
in Fetzen zwischen den Zeisingen herausgeweht.
Nur das Schunersegel blieb ganz. Nach dem
Aussehen des Wassers mußten wir uns um 10 Uhr
schon außerhalb der Lagune befunden haben; es
durch Lot festzustellen war nicht möglich.
Unser kleines Schiff hat sich sehr gut gemacht,
und dank seiner außerordentlichen Seetüchtigkeit
haben wir dieses schwere Unwetter überstanden.
Mehrere Male wurde das Schiff 40 bis 45
übergeworfen und war vollständig von Wasser
eingehüllt, aber nach einigen Sekunden hob es
sich immer wieder auf, um dann erneut über-
geworfen zu werden. Wir gebrauchten Ol in
Mengen um die See zu beruhigen. Gegen Mittag
wurden wir gewahr, daß viel Wasser im Schiff
sein mußte; von der Kajüte aus wurde das
Maschinenschott eingeschlagen, und jetzt sahen wir,
daß das Wasser bis über die Maschinenplattform
stand. Nun wurden von mir Freiwillige an die
Pumpe beordert, denn jemand direkt zu kom-
mandieren, wäre Frevel gewesen; die Sturzseen
schlugen immer noch unaufhaltsam an Deck nieder.
Die Maschinenpumpen konnten nicht gebraucht
werden, weil die Zündbatterien vollständig zerstört
waren. Das Wasser war hauptsächlich durch den
an Deck, an Steuerbord befindlichen Ventilator
eingedrungen. Um 4 Uhr war das Barometer
bis 29 10 gestiegen, hatten immer noch hohe
und grobe See, der Taifun wehte nach wie vor
mit voller Stärte. Ich glaube annehmen zu
können, daß von Oleai nichts übrig geblieben ist,
denn die Bäume, welche an uns vorbeitrieben,
waren alle sehr groß und stammen aus dem
Innern der Inseln.
Sonnabend den 30. März war es böig, aber
etwas handiger. Den Schiffsort zu bestimmen
war mir nicht möglich, denn die Sonne kam nicht
durch. Des Nachmittags klarten wir den Schiffs-
raum notdürftig auf und fanden hierbei noch
etwas trockenen Reis. Um 2½ Uhr trieb dicht
hinter unserem Schiff die Leiche eines Ein-
geborenen auf dem Rücken schwimmend vorbei.
Der Wind nahm nun immer mehr ab; das
Barometer stieg langsam. Es war immer noch
hoher Seegang. Am Sonntag mittag hielt ich
mit meinen Offizieren eine Unterredung ab, in
welcher wir uns entschlossen nach Saipan oder
eventuell nach Guam zu fahren. Denn Jap zu
erreichen war nicht möglich, weil der Strom arg
nach Nordwest setzte und wir nicht genügend
Segelfläche hatten. Die Maschine war nicht be-
schädigt und eventuell gebrauchsfähig.
Vom 1. bis zum 4. April hatten wir moderates
Wetter. Am 4. morgens bei Tagesanbruch er-
blickten wir Tnian und Agiguan. Segelten und
dampften zugleich nach Garapan. Saipan sichteten
wir kurz darauf. Um die Mittagsstunde ankerten
wir mit unserem Stromanker im Tanapaghafen.
Unser Schiff kann vorläufig keine Reise antreten,
da wir erst wieder Anker und Ketten sowie ein
Rettungsboot und diverse Segel von Hongkong
beziehen müssen.
III. Bericht des Begirksamtmanns Frit#
in Saipan.
Vom 15. April 1907.
Am 9. April traf der Reichspostdampfer
„Germania“ in Saipan ein. Ich ließ bei den
Geschäften für etwa 2000 Mark Lebensmittel,
Reis, Zwieback, einige Konserven kanfen, ferner
Süßkartoffeln, Melonen, Bananen bei den Ein-
geborenen. Noch am Abend desselben Tages fuhr
ich mit der „Germania“ ab; an Bord befindet
sich auch Kapitän Martens von der „Ponape“,
der mit seiner Frau in Urlaub geht.
Am 11. April abends ging der Dampfer in
der Lagune von Oleai vor Anker. Dr. Born
kam alsbald an Bord.
Einige der Inseln, die ich vor drei Monaten
noch im vollen Schmuck ihrer reichen Kokosbestände
gesehen, sind gänzlich vernichtet; aus den Trümmer-
haufen der gestürzten Bäume ragen nur wenige
hervor, die stehen geblieben, aber ihrer Kronen
beraubt sind; kein grünes Blatt ist zu sehen.
Im ganzen verloren auf Oleai und Ifaluk
225 Menschen ihr Leben. Europäer kamen
nicht um.
Die von der Flutwelle verschonten, „nur“
vom Taifun heimgesuchten Inseln gewähren einen
kaum weniger traurigen Anblick: aus dem gelben,
(Fortsetzung S. 576.)