Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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siehen wieder im Gegensatz zu den kleinen Farmern, 
welche sich als Proletarier behandelt fühlen. da man 
Straßen, Eisenbahnen und Häfen nur für die Groß- 
unternehmer baut. „Es ist nicht leicht, den Franzosen 
in Afrika zu regieren, der, im Heimatland so fügsam, 
zum afrilanischen Löwen wir sobald er nur einige 
Jahre im Lande weilt.“ Dem Ein fluß der großen 
Kompagnien wagt sich selbst der tüchtigste Verwaltungs S- 
beamte nicht zu entziehen, da er sonst um seine Stellung 
fürchten müste. Und diese Gropßgrundbesiver sind es 
auch, die das geringste Verständnis für die Interessen 
der Eingeborenen zeigen. Stets sind sie bereit, der 
Regierung die Reklamation der französischen Kolonie, 
die Desiderata der Siedler, die Klagen der Siedler, 
die Hoffnungen der Siedler zu unterbreiten, aber keiner 
hat bis, jeet jemals von den Rechten der Araber ge- 
sprocher 
Hitoriich stellt sich die Entwicklung der Besitz- 
verhäftnise so dar, daß man zunächst das Eigemum 
der Großen des Landes aufkaufte: dann ging man 
1898 unter dem Einfluß der tunesischen Agrarpartei so 
weit, daß die Ackerbauverwaltung jährlich 2000 Hektar 
aus den Staatsdomänen herausnehmen mußte, die 
nur an französische Siedler verkauft werden sollten. 
Bergleicht man dagegen das Verhalten Lord Cromers 
in Agypten, der beim Verkauf der Krondomänen vor- 
schrieb, daß zunächst das Land an die eingeborenen 
Fellachen verkauft werden solle und dann erst an die 
Europäer, von dem Grundsatz ausgehend, daß man 
die Eingeborenen an die Scholle binden müsse, weil 
dies die Grundlage jedes Fortschrittes in der Zulunft 
sei, so fällt dieser Vergleich sehr zuungunsten der Fran- 
gosen aus. Denn was soll depossedierten 
arabischen Bauern werden, die sieben Zehntel der 
tunesischen Bevölkerung ausmachen. Im ersten Stadium 
der Besiedlung verkaufte man große Domänen von 
20 000 bis 50 000 Oektar zu einem unbedentenden Preis 
aun frauzösische Kapitalisten oder ausgediente Minister. 
Die Kapitalisten lebten meist in Paris. Aber das be- 
deutete keine Besiedlung des Landes. Dann ging von 
privater Seite der Versuch aus, Kleinsiedler ins Land 
zu ziehen. Die Großumernehmer liefen gegen diese 
Versuche Sturm, aber der Erfolg war überraschend. 
„Hätte ich nur 50 000 Blaublusen alds Kolonisten in 
der Regentschaft,.“ sagte der Präsident der Domänen 
zu dem Berichterstatter. Und in“ ceer Tat, die Land- 
arbeiter, selbet wenn sie ohne Kapital ins Land ge- 
lommen waren, haben sich hier eime Ellng geschaffen, 
welche der ihrer Heimat überlegen ist. 
Die großen Besitzungen haben zum größten Teil 
mehrfach ihre Besitzer gewechselt, unter spekulativem 
Gewinn für den ersten Eigemtümer, die meisten sind in 
Kleinbesitzungen gerschlagen worden. Denn da man 
bei der ersten Anlage auf die klimatischen Eigenschaften 
des Landes keine Rücksicht nahm, so trden Wein- 
berge usw. angelegt in Gegenden, in denen auf ein 
Fortkommen der Pflanzungen oder wenigstens auf 
Absatz nicht zu rechnen war. So mußten die immensen 
Domänen zerfallen, zumal ihre Besiger und Verwalter 
lieber im Kasino zu Tunis ihr Geld durchbrachten, als 
sich um die Bebanung des Landes zu kümmern. 
Waldeck-Rousseau hätte vielleicht in diesen be- 
klagenswerten Tatsachen eine Evolution des Eigentums 
gesehen; jent ist man dahin gekommen, daß keiner 
  
dar Siedler von 1894 mehr auf seiner Scholle 
. . . Die Siedler waren eben der Regei nach 
Kün- Landbauern, sondern Amatenre. Wenn ein 
Rentier für 87 500 Franken sich ein Besitum kaufte, 
so ließ er zunächst darauf ein Haus im Werte von 
60 000 Franken bauen. Das mußte zum Ruin führen. 
Wenn man jeu#t in französische Farmen eimritt und 
den Besitzer fragt, wie lange er schon dieses Land 
kultiviere, erhält man die Amtwort: ein Jahr, zwei 
Jahre oder drei Jahre. Aber auch diese Besitzer wollen 
alle wieder verkaufen, und so hat man nach 25jähri- 
ger Okkupation das Resultat ergielt, daß kaum 
tausend wahre Siedler selbst ihre Besitztümer 
bebauen. Etwa 3000 Frangosen leben im Lande 
als Inspelworen. Mechaniker, landwirtschaftliche In- 
genicure usw. Das bedeutet in einem Lande in der 
Ausdehnung wie Tunis so viel wie einen Tropfen in 
einer großen Schale. 
Ein eigenartiges Problem bietet die schon berührte 
Tatsache, daß den Siedlern der oben beschriebenen Art 
edes Gerechtigkeitogefühl gegen die Araber abgeht. 
it den jedem Franzgosen in der Heimat eigentümlichen 
uorh noen Kem kommt er im Lande an, nach einigen 
Jahren hat sich bei ihm eine derariige geistige Um- 
wandlung vollzogen. daß nur noch der Instinkt zu 
herrschen scheint. Die herrschende Agrarpartei ist nicht 
allein der Feind der Eingeborenen, sondern auch der 
Regierung. Man kauft das Land nur, um es mit 
Profit wieder zu verkaufen, und siehr in den Ein- 
geborenen und der Regierung nur die Widersacher 
seiner Spekulation. Sowie der Siedler verarmt, kommt 
ihm die Versuchung au, sich auf die Unglücklichen zu 
stürgen, welche er in seiner Gewalt hat. Denn er ist 
der Herr des Landes und er hat die Gewalt über die 
Schwacher und unwissenden Untergebenen. Der kleine 
und mittlere Bauer dagegen, für den es einer 
außergewöhnlichen Energie bedarf, um dem Boden den 
Lebensunterhalt abugewinnen, schätzt die Kräfte, welche 
ihm im Araber zur Verfügung stehen. Er ist der 
wahre Lehrer der Eingeborenen. 
* * 
* 
Die große Kolonisation hat sich ausgelebt, und die 
lleine Kolonisation scheint jetzt in fruchtbaren Gegenden 
die Oberhand zu bekommen. Wenn dereinst die Eigen- 
tümer ihre Beduinen als Pächter einsetzen und sie 
nicht mehr auf ein Himtel der Produkte des Landes 
anweisen — ein moder Sklaventum —, dann wird 
eine wahre Auerstehemg dem Lande bevorstehen. Bei- 
wiele sind vorhanden, in denen die mohammedanischen 
Angestellten von Franzosen sich so viel erspart haben. 
daß sie sich selbst zum Besitzer machen konnten. Diese 
eingeborenen Bauern werden die Elite der tunesischen 
Sandbevölkerung bilden. Die Regierung muß zeigen, 
daß sie nicht die Verechtigung des Sates anerkennt, 
daß ein Franzose immer recht habe, selbst wenn er 
einen unschuldigen Muselmann tötet. Das Zu- 
sammenarbeiten der eingeborenen und der an- 
gesiedelten Bevölkerung wird die Zukunft des Landes 
sichern. Es muß bewirkt werden, daß die frangzösische 
Jlagge. geltebr wird und es darf keine Poliik be- 
rieben werden, welche sich des Fl 
Prügels bedient. * % Flasgensisck als 
 
	        
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