Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIV. Jahrgang, 1913. (24)

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den Angehörigen der beiden Religionen und ein Ent- 
sachen des muhammedanischen Fanatismus befürchtet. 
Mit dem Schutz der Gesundheit der Eingeborenen 
befassen sich die ilnlortuons disensces“ Procl. (Nr. 12/08) 
und die Lepers Procl. (Nr. 8/11). Die erste legt dem 
re und bei seiner Abwesenheit dem 
Pfleger eines an ansteckenden Krantheueen Erkrankten 
die Anzeigepflicht auf, und ermächtigt den Argt zu 
Isolierungs= und Desinfizierungsmaßnahmen. Auch 
kann der Gouverneur die Durchimpfung eingelner 
Bezirke anordnen. Die Læpers Procl. ermächtigt den 
Residenten, Lepraverdächtige zu isolieren. Der Gon- 
verneur kann die Unterbringung des Leprakranken an 
einem anderen Ort anordnen. Jedermann ist zur An- 
zeige verpflichtet, wenn er glaubt, daß einer seiner 
Hausgenossen leprös ist. Den Leprakranke wird die 
Ausübung bestimmter Handwerle untersagt. Die Kosten 
ür die Unterhaltung der Leprakranken haben die- 
jenigen Personen oder Gemeinschaften nach Anordnung 
des Residenten aufgubringen, die nach Stammesrecht 
zum Unterhalt der betreffenden Person verpflichtet 
sind. Zu der Errichtung besonderer Lepraheime ist 
man also in Nordnigerien noch nicht übergegangen. 
Anderseits ist die Bekämpfung der Lepra für Nord- 
nigerien eine sehr ernste Frage: wird doch die Zahl 
der Leprakranken im Protektorat auf 80 000 geschätzt. 
Irrenhäuser sind in Nordnigerien noch nicht ein- 
gerichtet. 
  
B. Gerichtsorganisazion. Verfahrensrecht 
d Materielles Strafre 
In di der Gerichtsbarkeit teilen sich 
vier Arten von Gerichtshöfen. Das Schwergewicht 
der Rechtsprechung liegt in den Provincinl Courts. Sie 
werden in jeder Proving gebildet. Die Rechtsprechung 
erfolgt durch den zuständigen Residenten und die ihm 
unterstehenden, durch besondere Verfügung mit der 
Gerichtsbarkeit betrauten europäischen Beamten. Der 
Resident 1. Klasse ist grundsäglich für alle Zivil= und 
Strassachen zuständig. Die ihm nachgcordneien Be- 
amten haben eine beschränktere Zuständigkeit. Straf- 
urteile, die auf Todesstrafe, mehr als 6 Monate Ge- 
sängnis, körperliche Züchtigung mit mehr als 12 Hieben 
und Geldstrafe von mehr als L 50.—.— lanten, be- 
dürsen in jedem Falle der Sesiibigung durch den 
Gonverneur. es sei denn, daß besondere Umstände die 
sofortige Vollstreckung erforderlich erscheinen lassen. 
Die hier ebenfalls monatlich einzureichenden Straflisten 
gehen an den Gouvernenr. Entsprechend der Kultur- 
siuse des Protektorats liegt also auch hier wieder die 
Uberwachung der gesamten Strasgerichtobarkeit in den 
Händen der Verwaltung. Die Residenten haben nach 
ausdrücklicher Anweisung bei der Ausübung der Recht- 
sprechung die Interessen der Verwaltung zu berück- 
sichtigen. In Zivilsachen mit einem Strafobjekt von 
mehr als L 50.—.— können Picht-Eingeborene Be- 
rufung an den Supreme Court einlegen. Dieses Ge- 
richt. zu dem der Chies Justice und zur zeit ein 
weiterer Richter gehören, ist in der Praxis fast aus- 
schliehlich Europäer= oder Europäer-Interesien-Gericht. 
Es ist unmittelbar zuständig 
a) für die Nigerprovinz und die Provingen Jlorin. 
Kabba, Bassa, Kontagora und Nassarawa, d. h. 
in denen gejsestigte Cmirate nicht vorhanden sind; 
b) für die Cantonments, und zwar nur in Sachen, 
in denen Nicht-Eingeborene. Eingeborene im 
Gouvernementsdienst als Kläger, Beklagte oder 
Angeklagte beteiligt sind, und wenn es sich um 
„Civil olfenecs“ der Soldaten handelt. Der 
Chief Justice kann ferner innerhalb des ganzen 
Protektorats jedes Verfahren, an dem Nicht- 
  
Eingeborene beteiligt sind, vor seinen Gerichis 
hof ziehen. Die Provincin! Commissionen- 
können anderseits alle Sachen ohne Ansehe#: 
der Personen des Be= oder Angeklagten mit 
Zustimmung. des Chief Justice an den Suprem 
urt verweisen. Berufung gegen Cntscheidunn 
des Supreme Court in Strafsachen gibt es nicht. 
nur kann der Gouverneur von dem ihm durcr 
den König verliehenen Begnadigungsrecht Ge 
brauch machen. Berufung in Jivilsachen mi- 
einem Streitgegenstand von mehr als 8 5 
Wert geht an den Fall Court. Dieser wird au- 
zwei oder mehr Richtern gebildet, die eventuel 
aus den Richtern Südluigernens genommen 
werden können. 
In den Cantonments, den Europäer-Siedlungen. 
sind zur Entlastung des Richters von der niederen 
Gerichtsbarkeit Cantonment-Couns für Zivilansprüche 
bis zu L 25.—.— und mit Strafbesugnis bis zu drer 
—i Gefängnis 225 —.— Geldstrafe und 12 Hiebe 
gebildet worden. Sie sind insbesondere auch für alle 
Verstöße gegen die Cantonment Proc umntion Qusuenb. 
und unterstehen der Aufsicht des Chicf Jurticc. Diesen 
sind auch Verzeichnisse der Zivil= und Strafsachen ein- 
zureichen, die wieder als Appeal-- wirlen. Infolge 
dessen gibt es eine Berufung gegen ihre Cntschei 
dungen nicht. 
Begüglich des anzuwendenden Rechts, insbesonder 
auch der Anwendung etwaiger Stammesrechte und der 
Zulassung der Anwälte gelten dieselben Grundsätze 
wie die für die Goldküste mitgeteilten. In den Pro- 
vincin! Couris ist für die Auskunftserteilung über 
Stammesrecht die Hinzuziehung von Häuptlingen und 
anderen Engeborenen Zulässig. 
keben diese von europäischen Beamten geleiteten 
Gerichte treten nun auch hier die Native Couris, deren 
Stellung und Einfluß das Gouvernement nach Mög- 
lichleit zu heben und zu festigen sucht. Sie sind zu- 
ständig für alle Sachen, an denen weder die Kronc. 
noch Nicht-Eingeborene, noch Eingeborene im Gouver= 
nementsdienst oder nicht= nordnigerischer Abkunft be- 
teiligt sind. Wollen sie gegen letztere verhandeln, so 
müssen sie hierzu die Zustimmung des Residenten ein- 
olen. Die sachliche Zuständigkeit ist teilweise so aus- 
gedehnt, daß einzelne Eingeborenen-Gerichtshöfe auch 
auf Todesstrafe erkennen können. Nur müsien sie dann 
dem Residenten die Akten einsenden, der sie dem Gou- 
verneur zur Bestätigung weitergi 
Unter größter Ausnützung der bisherigen Praxis 
sind Alkali-Couns mit im Koranrecht vorgebildeten 
Eingeborenenrichtern und Jucdicial Councils mit dem 
Emir. Häuptling oder Altesten als Vorsitzenden und 
verschiedenen Beisitgern gebildet. Die Gerichte haben 
das vorherrschende Eingeborenenrecht anzuwenden. 
dürien auch alle nach diesem zulässigen Strafmittel 
verhängen, abgeseben von Folter, Verstümmelung und 
sonstigen gegen die Gesetze der Gerechiigkei und Mensch- 
lichkeit verstoßenden Strafsmittel. Der Resident behält 
das Recht, jedergeit in das Verfahren einzugreifen. es 
vor den Provineial Court zu ziehen und die Strafe 
nach eigenem Ermessen abzuändern. Gegen die Em- 
scheidung des Natire Courts ist binnen 30 Tagen Be- 
rusumg möglich. Als Berufungsgericht fungiert nach 
Anordnung des Residenten der Alkali Court oder das 
Provincial Couneil der Hauptstadt der Proving. Soweir 
die Autorität und die Machtbefugnisse des erkennenden 
Coun nicht ausreichen, um seine Entscheidungen durch- 
zusetzen, sind die Provincial Couns ermächtigt, die 
Befolgung der Anordnungen der Native Courts durch 
Strassestsetzung nach freiem Ermessen zu er wingen. 
In welchem Umfang die Eingeborenengerichte 
 
	        
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