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Betel bearbeitete. Bei Untersuchungen der Japleute
war mir auffällig, wie ungemein häufig bei ihnen
starke Herzpalpitationen zu finden sind, ferner ein
eigentümli hes Zittern der Hände und der Mund-
winkel, auch bei jugendlichen Individuen und schließ-
lich ein oft über die Maßen träumerisches Wesen,
nicht unähnlich dem nach einer Morphiumdosis
auftretenden. Die günstige Wirkung des mäßigen Ge-
nusses ist die, daß alle körperliche Arbeit bei gleich-
mäßig heiterer Stimmung durch ihn erleichtert wird,
und daß er im Notfalle völlig über Hunger= und
Durstgefühl hinwegtäuscht. Die meisten der aufge-
zählten Wirkungen konnte ich an mir selbst v
als ich eines Tages zur Eeloftbeobechtung einige
Betelnüsse kante; von einem gewohnheitsmäßig betel-
kauenden Europäer Japs wurden sie mir bestätigt.
Kinder, denen indessen neuerdings das Betelkauen ver-
boten ist, sollen nach Angabe der Leute längere Zeit,
wenn sie das Beteln „lernen“, nach jeder Portion
stark benommen sein. Daß #.älllgls Betelkauen
nicht unschädlich ist, wird aber vor allem durch die
Abstinenzerscheinungen erwiesen. die bei allen Jap-
leuten auftreten, wenn sie es einmal längere Zeit ent-
behren müssen. Dann sind sie träge, schlapp, miß-
mutig und unfähig zur Arbeit.
Vom Tabak gilt das gleiche. Von ihm wissen
wir, doh er vor allem dem lindlichen Organismus
wenig zuträglich ist. Aber auch die Jugend raucht
auf Jap, und man kann dort sehen, wie dreijährige
Kinder die Mutterbrust mit der Zigarette vertauschen.
Indessen ist das Rauchen bisher nicht zu derselben
allgemeinen Leidenschaft geworden wie das Beteln.
6. Eigenhygiene, Familie und Sexualmoral.
Entsprechend der hohen Eigenkultur der Karoliner
sind auch viele hygienische Normen bei ihnen zu finden,
und sie entbehren selbst für unsere modernen Begriffe
der Zweckmäßigkeit nicht. Die Japleute haben noch
heutigestags ihre eigene Kleidung nicht gegen curo-
pä#sche vertauscht. Der Mann geht nackt bis auf seinen
um die Hüften gelegten und durch die Schenkel ge-
ogenen bunten Grasschurz und die Frauen tragen
ausschließlich ihre langen, dichten, etwa monatlich er-
neuerten Grasröcke bei eniblößtem Oberkörper. Die
für die Ausbreitung der Tuberkulose so oft angeschul-
digte europäische Kleidung kann hier sicher nicht in
Frage kommen. Ich glaube überhaupt, daß sie eine
viel größere Rolle beim Entstehen akuter als chroni-
scher Erkrankungen der Luftwege spielt, indem sie bei
Durchnässungen oder beim Durchschwitzen nicht ge-
wechselt wird. Wie in der Kleidung so ist auch auf
Allen anderen Gebieten das Volk äußerst treu in
Wahrung seiner Sitten, und trotz aller äußeren Lenk-
barkeit durch die Verwaltung hält es zäh an ihnen
fest. Auch seine Eigenreligion wurzelt tief und den
Bestrebungen der Mission setzt es einen härteren,
passiven Widerstand eninegen als viele Kannibalen=
völker. An äußeren Kulturgütern hat es nur wenig
vom Weißen angenommen. Seine schönen großen
Häuser mit den gewaktigen gegen den Wind gerichteten
Giebeldächern erbant es noch immer im alten, Eigenen
Stil und in ihrem Innern blickt man sich vergeblich
nach enropäischem Hausgerät oder Schmuck um. Ve
im Geräte des täglichen Lebens hat es nur wenigen
Dingen, deren überragende Vorzüge ihm einleuchten,
Eingang gestattet. Sein Steinbeil hat es ganz all-
gemein durch Eisen ersetzt, das ihm die Holgzbearbei-
tung beim Haus= und Bootsbau sowie die Feldarbeit
erleichter
Vert seiner religiösen Bräuche und Gebote haben
einen hygienischen Untergrund. Manche Antoren
glauben zwar, daß bei Naturvölkern solche Bräuche
erst nachträglich profanen Zwecken dienstbar gemacht
seien; ich bin der gegenteiligen Ansicht, daß viele
priesterliche Vorschriften wie im alten Testamente zu-
nächst hygienisch begründet waren, und um ihnen
Geltung zu verschaffen, religiös umkleidet worden sind.
Später mag vielfach ihr eigentlicher Zweck aus dem
Volksbewußtsein geschwunden sein und nur der Mythus
ist übrig geblieben; in anderen Fällen ist jener zwar
noch kenntlich, aber vom religiösen Beiwerk über-
wuchert. So haben die Zukunftssorgen für die Er-
nährung ihn zu den Tabugesetzen vieler Pflanzen und
Tiere gebracht, die noch heute streng in Geltung sind,
aber im Laufe der Zeit immer mehr durch Aberglauben
und komplizierende Vorschriften in ihrem eigentlichen
Wesen verdunkelt worden sind. Gewissermaßen als
Korrektiv einer sonst weirgehend geübten Gastfreund-
schaft besteht ebenfalls aus vorbengender Sorge gegen
Nahrungsmangel für fast alle Dörfer während mehrerer
ochen, ja selbst Monate im Jahr das priesterliche
Verbot, irgendwelche Früchte an Leute, die nicht zur
Ortschaft gehören, zu verschenken oder zu verkaufen.
Auch mir gegenüber machten sie keine Ausnahme davon.
Wenn Nahrungsmittel wie Trepang, Aale und Haie
ganz verpönt sind, so deutet das darauf bin, daß einst-
mal durch , sei es boiss sei es vermeintlich,
Krankheiten unter das Volk kamen. Die Erkenninis,
daß es ansteckende, die Umgebung gefährdende Krank-
heiten gibt, kommt in dem Gebot zum Ausdruck, daß
nach jedem Todesfall die Angehörigen des Verstorbenen
für einige Zeit abseits des Dorfes, auf den Höhen
leben, also eine Art Quarantäne durchmachen müssen,
deren Danuer nach dem Grade der Verwandtschaft mit
dem Toten abgestuft wird. Sehr viele Eingeborenen-
medizinen sind im Gebrauche, teils jedermann be-
kannt, teils nur im Besitz der Priester oder einiger
Heiltünsker, deren es für verschiedene Krankheiten
immer bestimmte Spezialisten gibt. Es würde zu weit
führen, wenn wir hier alle die zur Anwendung
kommenden Medikationen, Massagen, Blutentziehungen
und sonstigen mannigfachen Heilprozeduren betrachten
wollten. Einigen wichtigen, die in der Richtung des
uns besonders interessierenden Bevölkerungsproblems
liegen, werden wir im Zusammenhange mit dem
Familienleben und der Geschlechtsmoral des Volkes
begegnen.
Bza sahen bereits, daß die eheliche Gemeinschaft
des Hinseen nicht sonderlich festgefügt iit Ihre
Lockerung ist aber ein Produkt der neuen Zeit, die
außerdem dahin geführt hat, daß vieles alte seine
Zweckmäßigkeit oder Harmlosigkeit verloren hat, ja
zum Nachteil des Volkes geworden ist. Eine Ehe wird
nur so lange aufrecht erhalten, als wirkliche Neigung
das Paar verbindet. Mit ihrem Erlöschen gibt der
eine Teil dem andern seine Freiheit wieder. Er
schreitet nicht wie andere Naturvölker zur Polygamie,
er hält sich auch nicht, wie es tausendfach unter
Kulthtroöllern Brauch ist, für verpflichtet, bei ein-
tretender Abneigung die äußere Form der Gemein-
schast zu wahren, sondern er sucht und findet
eine neue Ehe. an mag über die Moral oder
Unmoral dieser Institution geteilter Ansicht sein,
aber man wird nicht behaupten können, daß
an sich die Aussichten eines Nachwuchses dadurch
verschlechtert werden, wenn eine neue Neigung,
zu einer neuen Ehe führt: wenigstens sind sie nicht
schlechter, als wenn bei gegenseitiger Abneigung das
äußere Zusammenleben erhalten leibt. Eine ganz
andere Beleuchtung gewinnt aber dieses Bild sofort
nach dem Einzug der Geschlechtskrankheiten. Sie
werden als unerwünschtes Heiratsgut von einer Ehe