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Aus den Krchiven des belgischen Kolonialministeriums.
JZehnte Veröffentlichung.“)
Ein amtliches beigisches Urteil über die Verletzung der Handelsfreihelt am Kong0
durch den Kongostaat und über dessen Oonopolwirtschaft.
In dem Kampf um die Frage der Zulässigkeit und der Vereinbarkeit mit den Bestimmungen
der Berliner Kongoakte des von Leopold II. 1891/92 eingeführten Domanialsystems, das das
Monopolwesen und den auf die Eingeborenen rücksichtslos ausgeübten Arbeitszwang bzw. die Ein-
führung der Steuerleistung in Gestalt von Lieferung von Bodenprodukten, vor allem von Kautschuk,
zur Folge hatte, sind Ströme von Tinte geflossen. Berge von Akten, Büchern, Broschüren und
Zeitungsartikeln pro und contra haben sich aufgehäuft. Die Parlamente in England, Belgien und
Italien, auch der Deutsche Reichstag haben sich mit der Frage befaßt, die in den belgischen Kammern
jahrelang zu den heftigsten Auseinandersetzungen geführt hat. Gesellschaften, wie in England die
. Congo Reform Asscciation= unter Führung von E. D. Morel, in Deutschland die „Kongoliga zum
Schutze der Eingeborenen“ unter E. Vohsen, in Belgien die Fédération pour la défense des
intérets belges à l'strangere, sind zur Bekämpfung oder zur Verteidigung der Zustände am Kongo
ins Leben gerufen worden. Ein mit ungemessenen, aus den unkontrollierten Einnahmen der Fon-
dation de la Couronne fließenden Mitteln gespeistes System von Agenten suchte in den Vereinigten
Staaten mit Unterstützung des Klerus die dortige gegnerische Bewegung und den Kongreß zugunsten
des Kongostaates zu beeinflussen. Ein geschickt geleitetes und ad hoc geschaffenes Pressebureau, das
mit Bestechungsgeldern nicht zu sparen brauchte, gewann mit Erfolg einen erheblichen Teil der
belgischen Presse, erstreckte seine Tätigkeit auch auf Deutschland, Osterreich, Italien, Frankreich und
England. Nicht ohne Erfolg, besonders in Deutschland, suchte es die Meinung zu verbreiten, daß
der Anlaß zu dem von England aus geführten Kampf gegen die Zustände am Kongo ausschließlich
in dem dort entstandenen Neid auf die glänzende Eutwicklung und das Emporblühen des kongo-
lesischen Handels zurückzuführen sei, und daß England im stillen danach strebe, sich des Kongostaates
zu bemächtigen. Das lief auf eine bewußte Irreführung der öffentlichen Meinung hinaus. Ein
zeitweiliger Leiter des Pressebureaus, Professor Rolin, verstieg sich zu folgender Verteidigung des
Systems: „Et duand meme il serait prouv#é duc le systeme du travail foreé est, de tous les
ystemes coloniaux, celui qui prete le plus aux abus, duand méme il serait prouwé du’il est
caractérisé par le taux le plus élevé de criminalité coloniale, encore faudrait-il P’approuwer ei
T’appliquer parce du'il est necessairc.“
Solche Ansichten sind nur dann verständlich, wenn man den Kongostaat nicht als eine
Kolonialmacht, sondern als ein Finanzunternehmen auffaßt, das er schließlich auch der Hauptsache
nach war. Seine Erträgnisse sollten nicht der Kolonie selbst, sondern ganz anderen Zwecken zugute
kommen.
Was schließlich auch alles zur Verteidigung des Leopoldinischen Systems geschrieben, gedruckt
und geredet worden ist, es wurde hinfällig allein durch die Tatsache, daß nach der Annexion und
nach dem Ableben Leopolds auf allen Gebieten der Verwaltung seiner Schöpfung sehr einschneidende
Anderungen und Reformen allgemein als dringend nötig anerkannt worden sind und sich durchgesetzt
haben. Ein genugsamer Beweis, daß das alte System eben verfehlt und für die Allgemeinheit
äußerst chädlich war. .
Schon als der Kongo-Souverän seine Abkehr von der ihm durch die Kongoakte vor-
geschriebenen Stellung in den wirtschaftlichen Fragen vollzog, hatte das belgische Ministerium der
Auswärtigen Angelegenheiten durch den Minister Beernaert seine warnende Stimme erhoben und
vor der neuen Politik und ihren Folgen vergeblich gewarnt.
Ein neuerdings aufgefundenes Aktenstück aus dem Jahre 1908 läßt erkennen, daß dieses
Ministerium seiner Ansicht über die Unvereinbarkeit der kongolesischen Monopol= und Domanial-
wirtschaft mit den Bestimmungen der Kongoakte treu geblieben ist.
*) Val. zuletzt „D. Kol. Bl.“ 1917, Nr. 13/14, S. 189 ff.