Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIII. Jahrgang, 1917. (28)

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Sonne, bald tropischem Platzregen ausgesetzt, häu- 
fig geschüttelt vom Fieberfrost, selbst verrichten. 
Doch nicht so sehr die Verrichtung dieser unge- 
wohnten Arbeiten peinigte die Kriegsgefangenen, 
als vielmehr der Zwang, sie vor den Augen der 
das Lager umstehenden neugierig und höhnisch 
gaffenden Eingeborenen verrichten zu müssen. 
Denn Sklavenarbeit war es, die sie verrichteten. 
So war es der Wille des Oberstleutnants Brisset. 
Vor dem Abmarsch von Garua hatte der 
Stabsarzt Dr. Bergéat den französischen Stabs- 
offizier eindringlich darauf hingewiesen, daß der 
Gesundheitszustand einiger der Kriegsgefangenen 
nach den Leiden der Belagerung sehr erschüttert 
sei. Es sei zu befürchten, daß die bevorstehenden 
körperlichen und seelischen Qualen mindestens eine 
weitere Verschlechterung herbeiführten. „Diese 
Vorstellungen“, so berichtet der genannte Arzt, 
„wurden offensichtlich mit Befriedigung aufsge- 
nommen, eine Rücksichtnahme aber auf die Schwer- 
kranken deshalb abgelehnt, weil auch sie bisher 
gegen die Franzosen gekämpft hätten. Nach 
weiteren Vorstellungen erhielten wir die Erlaub- 
nis, unsere Feldbetten, soweit sie noch nicht ge- 
stohlen waren, mitzunehmen, ebenso für uns drei 
im Hauptmannsrang befindlichen Offiziere eines 
unserer Zelte. Eine längere Unterredung zwischen 
mir und Brisset brachte mir noch das Zugeständnis 
zweier Lasten mit Medikamenten, die ich aber erst 
erhielt, nachdem ich das erstmals von Brisset ab- 
gelehnte Ansuchen erneut dem Oberst Cunliffe 
vorgetragen hatte.“ 
Es würde zu weit führen, den Marsch der 
Kriegsgefangenen, deren Scheiden aus Garua 
Oberstleutnant Brisset „hohnlachend“ beiwohnte, 
an dieser Stelle eingehend zu schildern. Die nach- 
folgenden Auszüge aus dem bereits mehrfach er- 
wähnten Tagebuch geben zudem ein Bild des 
Leidensweges der Kriegsgefangenen, wie er er- 
greifender nicht dargestellt werden kann: 
5. Juni. Nach vierstündigem Marsche erreichten 
wir etwa um 10 Uhr den neuangelegten französischen 
Posten Golombe. Von dem ehemaligen deutschen 
Unterkunftsplatz war fast nichts mehr zu sehen. Schon 
mehr als eine Stunde vor Golombe wurden wir von 
viclen Hunderten von Eingeborenen mit dem neu 
eingesetzten Lamido an der Spitze mit noch nie ge- 
sehenem Pomp und mit ohrenbetäubender Musik ein- 
geholt. Weiber heulten sich heiser, Kinder schricen, die 
Männer kreischten, aus unserem Einzug wurdc ein 
Triumphzug — nicht für uns, an krassesten Schmäh-= 
reden fehlte es nicht; es wurden uns Loblieder auf 
die Franzosen vorgesungen, wir wurden als Feig- 
linge bezeichnet, als Sklaven der Franzosen gefeiert 
und uns mit Totschlagen gedroht. Es war miserabel 
anzuhören, nichts, rein gar nichts wurde dagegen ge- 
tan, im Gegenteil wurden die Eingeborenen zu er- 
neuten Vorführungen ihrer Lästerungen aufgemuntert. 
Nur über das eine schätzten wir uns olücklich, daß 
Crailsheim dies hier nicht mit ansehen mußte. ieser 
mehr als demütigende Empfang wurde noch gesteigert 
  
  
durch unsere schmachvolle Unierbringung. Unter einem 
Strohdach ohne Seitenwände, etwa 50 m von den 
Posten entfernt, im Angesicht der immer noch johlenden 
Bevölkerung, fanden wir etwas Schutz vor den 
sengenden Sonnenstrahlen, zur Freude der Zuschauer 
doppelt eng umstellt von Senegalesen-Bajonetten. 
Perrin'), von dem wir schriftlich eine andere Unter- 
kunft erbaten, sahen wir nicht mehr wieder. Als 
besondere Vergünstigung durften wir von sechs Sol- 
daten bewacht gegen Abend zum Baden gehen, die 
andere Zeit aber das Strohdach nicht verlassen. 
16. Juni. In Biparc rasteten wir kurge Zeit 
um Mittag, die Träger bekamen zum ersten Male 
seit Garna ein wenig zu essen, dann marschierten 
wir weiter nach Kabi, wo wir ernent unter freiem 
Dimmel nächtigten. 
7./18. Juni. Nach mehrstündigem Marsche 
trasen wir hier auf unserem ehemaligen Posten Lere 
ein. Schon 1½ Stunden vorher wurden wir feier- 
lichst eingeholt, da ja „Perrin“ hier „Herr" ist. Etwa 
"300 Reiter und 500 bis 600 Männer und Weiber 
kamen uns entgegen, vor den Posten selbst war der 
Platz schwars von einer unübersehbaren Menschen- 
menge. Die Männer und Weiber tanzten, flöteten, 
trillerten und kreischten mit der betäubenden Musik 
mehrerer zusammengeholter Lamidos — wieder ein 
schmachvoller Einzug, ein Hroßartiger Siegeszug für 
die derzeitigen Herren des Landes. Wir haben hier 
erfahren, daß Perrin diesen Imperatorenempfang 
bestellt und mit strengen Strafen für die Nicht- 
befolgung dieser Huldigung gedroht hatte. Noch vor 
drei Wochen hatten Lereleute auf unseren Schanzem 
gearbeitet, uns zugejubelt und heute wünschen sic uns 
zu allen Teufeln. Perrin hatte außerdem noch das 
Gerücht verbreiten lassen, daß wir in Binder hin- 
Lerichtet würden, zu diesem Feste hatte Brisset selbst. 
wie uns Perrin offen sagte, die großen Lamidors 
vou Marua, Mendif und Kalfu mit ihren Kriegern 
hinbefohlen. Ob dies auch noch notwendig ist, wenn 
man mit 210 Europäern und 2400 Soldaten nach 
einer elftägigen Beschießung mit 10 Geschützen eine 
Besatzung von 37 erschöpften Europäern mit 350 Sol- 
daten zu einer ehrenvollen Kapitulation gezwungen 
hat, nachdem man den Platz mit einer stannens- 
werten Energielosigkeit sieben Monate belagert hat, 
das muß zur Entscheidung Leuten vom Schlage 
unserer derzgeitigen Herren unterbreitet werden: 
Kein Wunder also, daß die unübersehbare Menge 
von Eingeborenen hier mit Freuden herbeigeströmt 
war, um die Delinquenten vor der bevorstehenden 
Massenhinrichtung nochmals zu sehen. Nach dem 
Eingug auf den Posten, bei dem die Besatzung des- 
selben unter einem französischen Sergeanten präsen- 
tierte, mußten wir antreten, um beim Hissen der 
Trikolore zu salutieren. Also auch das blieb uns 
hier nicht erspart. In den ehemaligen Bohwohnungen 
fanden wir Offiziere unser Unterkommen, in den 
großen Häusern wurden wir nicht einquartiert. Die 
Unteroffiziere wohnten in den Pferdeställen. Am 18. 
war hier Ruhetag, der uns Zeit gab, unsere Wäsche 
zu waschen und uns etwas auszuruhen, denn die 
Marschstrapazen nach einer siebenmonatigen Be- 
wegungsunfähigkeit während der Belagerung machten 
uns jeden neuen Tag zu einer neuen Qual, doch sie 
sollen uns nicht klein sehen! 
19. Juni. Uns begleitet nun auch der Kapitän 
Lamarour, der Führer des Postens in Binder, er 
kunn sich= s nicht nehmen lassen, an der Spitze der 
*) Der französische Hauptmann Perrin war der 
Transportführer.
	        
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