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Sonne, bald tropischem Platzregen ausgesetzt, häu-
fig geschüttelt vom Fieberfrost, selbst verrichten.
Doch nicht so sehr die Verrichtung dieser unge-
wohnten Arbeiten peinigte die Kriegsgefangenen,
als vielmehr der Zwang, sie vor den Augen der
das Lager umstehenden neugierig und höhnisch
gaffenden Eingeborenen verrichten zu müssen.
Denn Sklavenarbeit war es, die sie verrichteten.
So war es der Wille des Oberstleutnants Brisset.
Vor dem Abmarsch von Garua hatte der
Stabsarzt Dr. Bergéat den französischen Stabs-
offizier eindringlich darauf hingewiesen, daß der
Gesundheitszustand einiger der Kriegsgefangenen
nach den Leiden der Belagerung sehr erschüttert
sei. Es sei zu befürchten, daß die bevorstehenden
körperlichen und seelischen Qualen mindestens eine
weitere Verschlechterung herbeiführten. „Diese
Vorstellungen“, so berichtet der genannte Arzt,
„wurden offensichtlich mit Befriedigung aufsge-
nommen, eine Rücksichtnahme aber auf die Schwer-
kranken deshalb abgelehnt, weil auch sie bisher
gegen die Franzosen gekämpft hätten. Nach
weiteren Vorstellungen erhielten wir die Erlaub-
nis, unsere Feldbetten, soweit sie noch nicht ge-
stohlen waren, mitzunehmen, ebenso für uns drei
im Hauptmannsrang befindlichen Offiziere eines
unserer Zelte. Eine längere Unterredung zwischen
mir und Brisset brachte mir noch das Zugeständnis
zweier Lasten mit Medikamenten, die ich aber erst
erhielt, nachdem ich das erstmals von Brisset ab-
gelehnte Ansuchen erneut dem Oberst Cunliffe
vorgetragen hatte.“
Es würde zu weit führen, den Marsch der
Kriegsgefangenen, deren Scheiden aus Garua
Oberstleutnant Brisset „hohnlachend“ beiwohnte,
an dieser Stelle eingehend zu schildern. Die nach-
folgenden Auszüge aus dem bereits mehrfach er-
wähnten Tagebuch geben zudem ein Bild des
Leidensweges der Kriegsgefangenen, wie er er-
greifender nicht dargestellt werden kann:
5. Juni. Nach vierstündigem Marsche erreichten
wir etwa um 10 Uhr den neuangelegten französischen
Posten Golombe. Von dem ehemaligen deutschen
Unterkunftsplatz war fast nichts mehr zu sehen. Schon
mehr als eine Stunde vor Golombe wurden wir von
viclen Hunderten von Eingeborenen mit dem neu
eingesetzten Lamido an der Spitze mit noch nie ge-
sehenem Pomp und mit ohrenbetäubender Musik ein-
geholt. Weiber heulten sich heiser, Kinder schricen, die
Männer kreischten, aus unserem Einzug wurdc ein
Triumphzug — nicht für uns, an krassesten Schmäh-=
reden fehlte es nicht; es wurden uns Loblieder auf
die Franzosen vorgesungen, wir wurden als Feig-
linge bezeichnet, als Sklaven der Franzosen gefeiert
und uns mit Totschlagen gedroht. Es war miserabel
anzuhören, nichts, rein gar nichts wurde dagegen ge-
tan, im Gegenteil wurden die Eingeborenen zu er-
neuten Vorführungen ihrer Lästerungen aufgemuntert.
Nur über das eine schätzten wir uns olücklich, daß
Crailsheim dies hier nicht mit ansehen mußte. ieser
mehr als demütigende Empfang wurde noch gesteigert
durch unsere schmachvolle Unierbringung. Unter einem
Strohdach ohne Seitenwände, etwa 50 m von den
Posten entfernt, im Angesicht der immer noch johlenden
Bevölkerung, fanden wir etwas Schutz vor den
sengenden Sonnenstrahlen, zur Freude der Zuschauer
doppelt eng umstellt von Senegalesen-Bajonetten.
Perrin'), von dem wir schriftlich eine andere Unter-
kunft erbaten, sahen wir nicht mehr wieder. Als
besondere Vergünstigung durften wir von sechs Sol-
daten bewacht gegen Abend zum Baden gehen, die
andere Zeit aber das Strohdach nicht verlassen.
16. Juni. In Biparc rasteten wir kurge Zeit
um Mittag, die Träger bekamen zum ersten Male
seit Garna ein wenig zu essen, dann marschierten
wir weiter nach Kabi, wo wir ernent unter freiem
Dimmel nächtigten.
7./18. Juni. Nach mehrstündigem Marsche
trasen wir hier auf unserem ehemaligen Posten Lere
ein. Schon 1½ Stunden vorher wurden wir feier-
lichst eingeholt, da ja „Perrin“ hier „Herr" ist. Etwa
"300 Reiter und 500 bis 600 Männer und Weiber
kamen uns entgegen, vor den Posten selbst war der
Platz schwars von einer unübersehbaren Menschen-
menge. Die Männer und Weiber tanzten, flöteten,
trillerten und kreischten mit der betäubenden Musik
mehrerer zusammengeholter Lamidos — wieder ein
schmachvoller Einzug, ein Hroßartiger Siegeszug für
die derzeitigen Herren des Landes. Wir haben hier
erfahren, daß Perrin diesen Imperatorenempfang
bestellt und mit strengen Strafen für die Nicht-
befolgung dieser Huldigung gedroht hatte. Noch vor
drei Wochen hatten Lereleute auf unseren Schanzem
gearbeitet, uns zugejubelt und heute wünschen sic uns
zu allen Teufeln. Perrin hatte außerdem noch das
Gerücht verbreiten lassen, daß wir in Binder hin-
Lerichtet würden, zu diesem Feste hatte Brisset selbst.
wie uns Perrin offen sagte, die großen Lamidors
vou Marua, Mendif und Kalfu mit ihren Kriegern
hinbefohlen. Ob dies auch noch notwendig ist, wenn
man mit 210 Europäern und 2400 Soldaten nach
einer elftägigen Beschießung mit 10 Geschützen eine
Besatzung von 37 erschöpften Europäern mit 350 Sol-
daten zu einer ehrenvollen Kapitulation gezwungen
hat, nachdem man den Platz mit einer stannens-
werten Energielosigkeit sieben Monate belagert hat,
das muß zur Entscheidung Leuten vom Schlage
unserer derzgeitigen Herren unterbreitet werden:
Kein Wunder also, daß die unübersehbare Menge
von Eingeborenen hier mit Freuden herbeigeströmt
war, um die Delinquenten vor der bevorstehenden
Massenhinrichtung nochmals zu sehen. Nach dem
Eingug auf den Posten, bei dem die Besatzung des-
selben unter einem französischen Sergeanten präsen-
tierte, mußten wir antreten, um beim Hissen der
Trikolore zu salutieren. Also auch das blieb uns
hier nicht erspart. In den ehemaligen Bohwohnungen
fanden wir Offiziere unser Unterkommen, in den
großen Häusern wurden wir nicht einquartiert. Die
Unteroffiziere wohnten in den Pferdeställen. Am 18.
war hier Ruhetag, der uns Zeit gab, unsere Wäsche
zu waschen und uns etwas auszuruhen, denn die
Marschstrapazen nach einer siebenmonatigen Be-
wegungsunfähigkeit während der Belagerung machten
uns jeden neuen Tag zu einer neuen Qual, doch sie
sollen uns nicht klein sehen!
19. Juni. Uns begleitet nun auch der Kapitän
Lamarour, der Führer des Postens in Binder, er
kunn sich= s nicht nehmen lassen, an der Spitze der
*) Der französische Hauptmann Perrin war der
Transportführer.