Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

12 1.Buch. I. Abschn. Stellung d. Rechtsordn. unter d. Kulturmächten. 
sind in die Diskretion, in das freie Ermessen des einzelnen 
gestellt. In sehr vielen Fällen sagt man das eine oder das 
andere zu und gibt damit eine gesellschaftliche Aussicht, aber 
ohne Rechtsverbindlichkeit. Tausend Umstände können ein- 
treten, welche uns hindern, von der einmal betretenen Bahn 
abzuweichen, und uns dadurch nötigen, diese Aussichten wieder 
zu zerstören. So, wenn jemand verspricht, sich bei irgend 
einem Feste zu beteiligen, so bei den vielen Zusagen der Liebe, 
der Religion, der Menschlichkeit. 
Nur da tritt die Rechtsordnung ein, wo das Versprechen 
aus dem Gebiete freier Menschenhülfe ausscheidet und zur 
bindenden Norm werden soll. Es ist etwas anderes, ob jemand 
einem Freunde die Zusage gibt, bei seinem Gastmahl zu musi- 
zieren, oder ob sich ein Tonkünstler dazu anwerben läßt. Es ist 
etwas anderes, ob ein Bräutigam der Braut verspricht, sie eine 
Sprache zu lehren, oder ob dies mit einem Sprachlehrer aus- 
gemacht wird. Es ist etwas anderes, ob jemand bei einem 
Bankett als Festmitglied die Rede übernimmt, oder ob ein 
Festredner dazu aufgestellt wird. Ich habe solche Fälle, wo 
die Verbindlichkeit in das Recht eintritt, so charakterisiert, daß 
diese hier einen geschäftlichen Charakter annehme. Wann dies 
im Einzelfalle zutrifft, hängt von den gesellschaftlichen An- 
schauungen ab. Je weiter eine Kultur der Freiheit mensch- 
lichen Wirkens stattgibt, umso weniger wird sie eine Ver- 
pflichtung in die Sphäre des Rechts rücken. Dies gilt ins- 
besondere von religiösen Betätigungen: hier wird man nur 
in den allerwenigsten Fällen einen Rechtszwang annehmen 
können. Zwar daß, wenn jemand sich verpflichtet, eine Kirche 
zu bauen oder eine bestimmte Summe für gottesdienstliche 
Zwecke zu zahlen, dies rechtsverbindlich ist, versteht sich 
von selbst; denn hier handelt es sich nicht um eine religiöse 
Leistung, sondern um eine Vermögensleistung, die eben 
nur. insofern der Religion zukommt, als auch eine Religions- 
ausübung nicht ohne äußere Grundlage, nicht ohne Mittel, 
namentlich nicht ohne Vermögen bestehen kann. Dagegen 
wird eine Verbindlichkeit, am Gottesdienst teilzunehmen, regel- 
mässig der freien menschlichen Entschließung anheimstehen 
und ein dahingehendes Versprechen des Rechtszwangs ent- 
behren. Nur soweit eine Religion Priester und religiöse
	        
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